Universum Film
Regisseur Nick Love
Ohne Filmkarriere kriminell?
Interview: Gangsterqualitäten: Nick Love
Nick Love hat sich mit Gangsterfilmen wie "Outlaw" und Hooligan-Dramen wie "3. Halbzeit" international einen Namen gemacht. Mit "The Crime" bringt er nun einen Action-Thriller in die Kinos. Im Interview mit Filmreporter.de erzählt der britische Regisseur, welche Bedenken er bei seinem neuen Projekt hatte. Außerdem verrät Love, in welchen Verhältnissen er aufgewachsen ist, welche persönlichen Erfahrungen er in seinen Filmen verarbeitet und dass ihn sein Beruf vor einer kriminellen Karriere bewahrt hat.
erschienen am 27. 02. 2013
Universum Film
Ben Drew mit Ray Winstone in "The Crime"
Ricore: Ihr aktueller Film "The Crime" basiert auf der britischen Fernsehserie "Die Füchse". Was war die Herausforderung bei der Adaption für das Kino?

Nick Love: Es gab verschiedene Herausforderungen. Zum einen mussten wir mit einem Budget von etwa drei Millionen Euro auskommen und damit auch die Autoverfolgungsjagden und die große Schießerei auf dem Trafalgar Square in London finanzieren. Abgesehen davon muss man bedenken, dass "Die Füchse" in England eine bekannte Fernsehserie ist. Mit einer solchen Marke muss man behutsam umgehen. Dazu ist man in hierzulande generell relativ misstrauisch gegenüber Neuverfilmungen. Wir mussten uns also überlegen, ob wir das Remake für die Fans des Originals oder für ein jüngeres Publikum machen sollten.

Ricore: Und wofür haben Sie sich entschieden?

Love: Für einen Kompromiss. Mit Ray Winstone als Hauptdarsteller haben wir jemanden gefunden, der die älteren Fans bedienen kann und die viele Action im Film spricht eher die jüngeren Leute an. Ein jüngeres Publikum ist im Gegensatz zu einem älteren weniger an Charakteren interessiert. Für Frauen ist "The Crime" wohl eher eh nicht so geeignet. Auf jedem Fall habe ich eine Menge Druck gespürt, denn die britische Presse hat schon sechs Monate vor den Dreharbeiten über das Projekt berichtet.

Ricore: Der Druck war also größer als bei dem Hooligan-Drama "3. Halbzeit", der mit "The Firm" ein bekanntes Vorbild hat?

Love: Auf jedem Fall. "The Firm" von Alan Clarke ist ganz bestimmt ein Kultfilm, aber nicht so berühmt wie die Fernsehserie "Die Füchse", die bestimmt fünf Jahre lang jede Woche im Fernsehen lief.

Ricore: War es schwierig, den Film zu finanzieren?

Love: Ja. Deshalb bin ich auch froh, dass alles so gut geklappt hat. Wir denken schon über eine Fortsetzung nach, für die wir noch mehr Geld auftreiben wollen.

Ricore: Der Film handelt auch von Männerfreundschaften. Was bedeutet Freundschaft für Sie?

Love: Ich denke, dass alle meine Filme Motive wie Freundschaft, Loyalität und Gewalt aufgreifen. Ich bin in einem sehr gewalttätigen Umfeld aufgewachsen, habe mich aber selbst eher vor Gewalt gefürchtet, was ja nicht ganz ungesund ist (lacht). Dennoch ist es nicht leicht, wenn man sich in einer Umgebung, die etwa durch Gewalt rund um den Fußball geprägt ist, eher als Feigling erweist. Ich konnte nie verstehen, warum meine Freunde Spaß daran hatten, jemanden anders zu schlagen. Daher ist es in meinen Filmen zu einer Besessenheit geworden, Gewalt im Film darzustellen, um so meine Dämonen auszutreiben. Dies gilt vor allem für meine früheren Underground-Filme. "The Crime" ist da schon massenkompatibler.

Ricore: Hatten Sie trotz aller Gewalttätigkeit gute Freunde?

Love: Auf jedem Fall. In einem meiner Filme wird es in einem Satz ganz deutlich: "Was du für deine Freunde machst, würdest du nicht für deine Freundin machen." Ich erinnere mich an früher, als ich mit meinen Freunden alle mögliche unternommen habe, wie zum Beispiel Ecstasy nehmen und Alkohol trinken. Das ist fast wie Sex mit einer Frau zu haben - so sehr liebst du deine Kumpels. In diesem Alter sind Freunde wichtiger als Frauen.
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3. Halbzeit
Ricore: In Ihren Filmen gibt es einen ganz speziellen Humor. Wollen Sie damit ein Gegengewicht zur gezeigten Gewalt schaffen?

Love: Ich persönlich habe einen sehr makabren Humor. Das übertrage ich auch auf meine Filme. Es ist egal wer du bist und wo du gerade bist - es gibt immer platzt für Humor. In einem Film von mir gibt es eine Szene mit Drogensüchtigen, die auf einer Toilette abhängen und die ganze Zeit Heroin rauchen. Das wirkt lustig. Mit sowas bin ich halt aufgewachsen.

Ricore: Wie war die Zusammenarbeit mit den Darstellern?

Love: Großartig. Ray und ich haben schon seit fünf Jahren darüber geredet, "The Crime" zu drehen. Während der Dreharbeiten haben wir eng zusammengearbeitet. Es ist sehr angenehm, mit ihm zu drehen. Er kann sehr lustig sein, aber wenn die Kamera läuft, wird er mit einem Schlag total professionell. Das gibt eine tolle Stimmung am Set. Auch Ben Drew ist hat seine Sache hervorragend gemacht. Er ist in England ein angesagter Sänger und die Presse war schon im Vorfeld begeistert, dass er im Film mitspielt. Ben repräsentiert eine Generation. Erst war es für mich allerdings nicht klar, wie sich Ben in einer solch großen Rolle machen wird, da er zuvor als Schauspieler ja kaum in Erscheinung getreten war. Er wollte in "The Crime" unbedingt mitspielen, auch weil er großer Fan von Ray ist. Das Problem war, dass er nicht sicher war, wie er sich in der Rolle eines Polizisten machen wird. Aber er hat das toll hinbekommen.

Ricore: Zeigt "The Crime" ein realistisches Bild von der Arbeit einer Spezialeinheit der Londoner Polizei?

Love: Es ist natürlich nur ein Film. Wenn man zynisch ist, könnte man sagen, dass die Realität ähnlich ist. Aber ich denke, der Film spiegelt die Realität nur ein bisschen. Andererseits gibt es bei der Polizei durchaus Mitarbeiter, die in interne Angelegenheiten verstrickt sind. Wenn man den realistischen Alltag einer solche Spezialeinheit zeigen würde, wäre es langweilig. Ich habe mich mit einigen Polizisten unterhalten. Die sagen, man würde einfach viel im Büro rumsitzen und sich mit Bürokratie rumschlagen. Viele fürchten, ins Visier der internen Ermittler zu geraten und verhalten sich daher ruhig. Den Polizisten sind heutzutage die Hände gebunden. Wenn diese "The Crime" gesehen haben, wird sicher die Hälfte sagen, dass das Gezeigte völliger Unsinn ist, während sich die andere Hälfte wünschen würde, dass sie so agieren dürften wie die Kollegen im Film.

Ricore: Die Polizisten in Ihrer Geschichte haben allerdings allerhand zu tun. Es gibt viele Action in "The Crime".

Love: Englands Filmgeschichte hat kaum Actionfilme vorzuweisen. Für englische Filme ist vielmehr ein bestimmter Sozialrealismus typisch. Ich bin mit solchen Filmen aufgewachsen, habe aber auch US-amerikanischen Filme von Regisseuren wie Steven Spielberg, Michael Mann und Martin Scorsese gesehen. Darum habe ich gedacht, warum soll ich als Brite nicht auch mal London in ein Schlachtfeld verwandeln, indem ich einen richtigen Actionfilm drehe. Warum müssen wir in England immer nur Dramen machen, warum nicht auch einmal knallharten Verbrecherfilm? Immerhin gibt es in unserem Land etliche Kriminelle, Gangsterorganisationen und Gangs.

Ricore: Wie würden Sie Ihr Geld verdienen, wenn Sie nicht im Filmgeschäft wären?

Love: Wahrscheinlich mit Verbrechen. Ich wüsste nicht, was ich sonst tun würde, da ich keine Ausbildung für irgendeinen anderen Beruf habe. Ich habe auch keine anderen Interessen. Also konnte es für mich nur heißen: Entweder zeige ich dir Kriminalität im Film oder ich werde selber kriminell.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 27. Februar 2013
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2024