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Badland
Jamie Draven: Ich bin Pazifist
Interview: Jede Gewalt ist hässlich
Bekannt wurde Jamie Draven hierzulande als rabiater Bruder von "Billy Elliot". In "Badland" gibt er den Kriegsrückkehrer und dreifachen Familienvater Jerry. Traumatisiert von den Erlebnissen im Irak, erschießt dieser in einem Moment des Hasses seine hochschwangere Frau und seine zwei Söhne. Danach flüchtet er mit seiner kleinen Tochter. Jamie Draven sprach mit Ricore Text in München über die schweren Drehbedingungen in Kanada und die Botschaft des Films. Auf die Frage, ob er sich in den mordenden Familienvater hineinversetzen konnte, antwortet er mit einem überraschendem aber nachvollziehbarem "Ja".
erschienen am 8. 05. 2008
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Ricore: Wie haben Sie sich auf diese schwierige Rolle vorbereitet?

Jamie Draven: Wir haben sehr hart daran gearbeitet, da auf unseren Schultern eine große Verantwortung lag. Der Fall beruht auf wahren Begebenheiten. Es ist eine Geschichte, in der sehr viel passiert. Wir haben uns sehr viele Dokumentationen angeschaut, in Zeitschriften und Zeitungen recherchiert.

Ricore: Hatten Sie Kontakt mit ehemaligen Soldaten?

Draven: Nein. Ich habe gemerkt, dass zurückgekehrte Soldaten nur ungern über ihre Erfahrungen in Kriegsgebieten sprechen. Sie leiden wie meine Filmfigur Jerry leidet. Auch er kann mit keinem darüber sprechen, was er erlebt hat. Er versucht, alleine durch den Schmerz zu gehen.

Ricore: Wie waren die Dreharbeiten?

Draven: Die Stimmung war sehr intensiv. Wir hatten nur wenige Drehtage zur Verfügung. Bestimmte Szenen waren wirklich deprimierend, am Abend waren wir oft ausgelaugt und mit unseren Kräften am Ende. Für mich war es allerdings hilfreich, dass wir so schnell drehten. Natürlich haben wir uns gut verstanden, es war wie eine große Familie. Der Regisseur und seine Frau waren immer anwesend und haben auch beim Catering geholfen. Aber alles in allem waren es harte Drehtage.
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Szene aus "Badland"
Ricore: Wie haben Sie sich nach den Dreharbeiten entspannt? Konnten Sie abschalten?

Draven: Nein, abschalten war nicht möglich. Ich fand das sehr schwierig und wollte auch gar nicht abschalten. Ich habe versucht, in meiner Figur zu bleiben, zu fühlen und zu denken wie er. Seine Tat war immer in meinem Kopf. Es war schwer für mich, nicht darüber nachzudenken. Zum Glück konnte ich schlafen. Aber die Crew und auch die Schauspieler waren toll und haben mir sehr geholfen.

Ricore: Wenn Sie sich auf der Leinwand betrachten, kriegen Sie keine Angst vor sich selbst?

Draven: Nein. Natürlich fragte ich mich manchmal während der Drehabreiten "Was mache ich da bloß?". Aber ich wollte meine Rolle so real wie möglich spielen. Man soll mir glauben und mir meine Figur abnehmen. Dafür habe ich sehr hart gearbeitet. Denn was der Junge da macht, ist leider sehr real.

Ricore: Konnten Sie sich in die Haut von Jerry hinein fühlen, ihn vielleicht sogar verstehen?

Draven: Ich musste es. Ich musste fühlen wie er. Der Mann ist traumatisiert, schwer krank, der keine Hilfe annehmen kann oder will. Ich habe versucht, das so gut wie möglich darzustellen.

Ricore: Welche Botschaft hat der Film?

Draven: Der Film blickt auf Kriege aus der Sicht von Individuen. Es ist nicht ein Film über Konflikte in Kriegsgebieten, sondern wie sich der Krieg auf Individuen und ihr persönliches Leben auswirkt. Ich glaube der Film will sagen, wenn ein Soldat in den Krieg zieht, kommt er niemals wieder zurück, auch wenn er überlebt. Der Film ist eine sehr persönliche Annäherung über das Ausmaß eines Krieges. Der Film soll Menschen aufmerksam machen, was in Kriegsgebieten passiert und was mit jenen Menschen geschieht, die dort über Leben und Tod bestimmen.
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Ricore: Glauben Sie, dass der Film dies bewirkt?

Draven: Ich weiß es nicht. Ich glaube, manche Leute werden den Film hassen, andere wiederum werden sehr viel dabei lernen. Der Film wird bestimmt nicht die Politik oder gar die ganze Welt verändern. Ich hoffe aber, dass darüber gesprochen wird und dass viele Leute aufmerksam darauf werden.

Ricore: Regisseur Francesco Lucente meinte, "Badland" sei kein Film über den Irak-Krieg, er könnte über jeden Krieg sein. Stimmen Sie ihm zu?

Draven: Natürlich. Bei allen großen und kleinen Kriegen sind Soldaten gestorben, haben Soldaten getötet und sind Soldaten mit traumatischen Erlebnissen von ihren Einsatzgebieten zurückgekehrt. Es spielt keine Rolle welcher Krieg das ist, jeder bewaffnete Kampf ist grausam. Wir haben Irak deshalb als Bezugspunkt genommen, da es der aktuellste Krieg ist, der geführt wurde.

Ricore: Ist es als Schauspieler frustrierend, einen Film mit einer derartigen Botschaft zu drehen, dann aber kaum oder nur wenig Erfolg an den Kinokassen zu haben?

Draven: Solche Dinge liegen nicht in meiner Hand. Unser Film ist natürlich kein gewöhnlicher Film, wir haben auch nicht Stars wie Tom Cruise an Bord. "Badland" ist ein kleiner Independent-Film, der für Francesco sehr wichtig ist. Er hat gemeinsam mit seiner Frau viele Jahre damit verbracht, diesen Film auf die Beine zu stellen. Natürlich kann ich verstehen, dass man dann enttäuscht ist, wenn der Film nicht sehr erfolgreich läuft. Ich glaube aber, dass Europa der bessere Markt für unseren Film ist und dass die Menschen hier die Botschaft und die Intention verstehen.

Ricore: Besteht ein Unterschied zwischen dem amerikanischen und dem europäischen Publikum?

Draven: Ja, vor allem was Kriegsfilme und aktuell Irak-Kriegsfilme betrifft. Unser Film startete in den USA unglücklicherweise zu einem Zeitpunkt, an dem auch drei weitere Filme über den Irak-Krieg anliefen. Das ist vielleicht etwas zu viel, die Menschen kriegen sehr schnell genug von diesem Thema. Denn die täglichen Nachrichten im Fernsehen zeigen im Enddefekt meist dasselbe.
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Ricore: Das war Ihre erste Rolle in einem amerikanischen Film. Hatten Sie je Probleme mit ihrem britischen Akzent?

Draven: Ich hatte keinen speziellen Sprachunterricht, wenn Sie das meinen. Der Regisseur hat mir auf Anhieb den Job gegeben, also schien er sich keine Gedanken über meinen Akzent zu machen. Natürlich ist er ein großes Risiko eingegangen. Wir hatten auch nicht wirklich viel Geld übrig, um uns einen Sprach-Coach zu leisten. Ich habe einfach nur einige Zeit in Amerika verbracht. Ich hatte beispielsweise eine Hörspiel-CD von Sean Penn über Bob Dylan. Ich habe diese immer und immer wieder gehört. So habe ich versucht, den Akzent zu imitieren und gehofft, irgendwie amerikanisch zu klingen.

Ricore: Sie haben dem Regisseur einige Songs für den Film vorgeschlagen. Wie kam es dazu?

Draven: Als wir aufgrund der Dreharbeiten nach Kanada geflogen sind, habe ich mir etwas Musik mitgebracht. Diese hat mir gut gefallen und ich dachte, sie würde gut zu meinem Filmcharakter passen. Das habe ich dann Francesco vorgeschlagen. Er war froh darüber und ging auf meine Vorschläge ein.

Ricore: Spielt Musik eine große Rolle in Ihrem Leben?

Draven: Auf jeden Fall. Ich habe immer Musik bei mir, keine spezielle, einfach Lieder, die gerade zu mir und der Situation passen. Die begleiten mich dann über einen bestimmten Zeitraum. So war es auch bei "Badland".

Ricore: Machen Sie selbst Musik?

Draven: Nein, ich spiele leider keine Instrumente und bin auch ziemlich unbegabt darin. Im Gegensatz dazu Joe Morton. Er hat extra einen Song für den Film eingespielt.
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Ricore: Sie als Brite haben etwas Abstand zu den Vorgängen in Amerika. Glauben Sie, dass sich in den letzten acht Jahren die Einstellung der Menschen gegenüber Kriegsführung geändert hat?

Draven: Nein. Der posttraumatische Stress und der Schock, der bei vielen Kriegsrückkehrern auftritt, war ja schon vor dem Irak-Krieg bekannt. Aber auch da hat es niemanden interessiert. Beispielsweise haben sich beim Falklandkrieg mehr Soldaten nach ihrer Rückkehr das Leben genommen, als im Kampf gefallen sind. Ohne Zweifel war dies ein grausamer Krieg, doch kaum jemand hat sich dafür interessiert, oder sich den Soldaten angenommen, auch nicht filmisch. Das ist eine Schande.

Ricore: Wer glauben Sie, wird das Rennen im US-Wahlkampf 2008 machen?

Draven: Wissen Sie, in England sind wir etwas müde vom US-Wahlkampf. Ich glaube, den Amerikanern würde es gut tun, wenn Barrack Obama gewinnt. Aber eigentlich ist es mir egal, solange ein Demokrat der zukünftige Präsident wird.

Ricore: Haben Sie schon Pläne für die Zukunft?

Draven: Ja, ich hoffe, dass ich demnächst wieder etwas mit Francesco machen kann. Aber es wird kein Film über einen Krieg. Vielleicht eine Komödie oder eine Tragödie.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.

Draven: Ich danke Ihnen.
erschienen am 8. Mai 2008
Zum Thema
Ohne Schauspielausbildung und nur mit zwei kleineren Rollen zog Jamie Draven als 19-Jähriger nach London, um professioneller Schauspieler zu werden. Dabei wollte er bis vor kurzem noch Footballstar werden. Seine erste große Rolle landete er schließlich im Fernsehdrama "Butterfly Collectors" im Jahr 1999. Nur ein Jahr später spielte er den älteren Bruder von Billy Elliot im gleichnamigen Film und wurde international bekannt.
Badland (Kinofilm)
Im Zentrum der Handlung steht der Mord von Ex-Soldat Jerry (Jamie Draven) an seiner hochschwangeren Frau und seinen zwei Söhnen. Regisseur Francesco Lucente beschäftigt sich jedoch nicht mit der Schuldfrage, sondern damit, wie es zu der Schreckenstat kam. Inspirieren ließ er sich von zahlreichen Selbstmorden und Amokläufen ehemaliger US-Soldaten, die sich kurz nach Beginn des Irakkrieges häuften.
2024