Jean-François Martin/Ricore Text
Mick Jagger (Berlinale 2008)
Entschieden, nicht jung zu sterben
Starfeature: Mick Jagger wird 65
Ein Rolling Stone zu sein ist nicht einfach. Gut, an jeder Ecke lauern Groupies und um Geld muss man sich auch keine Gedanken mehr machen - aber das Leben als Rockmusiker ist alles andere als gesund. Schlagzeuger und Ex-Raucher Charlie Watts hat mit Alkoholsucht und Kehlkopfkrebs zu kämpfen. Gitarrist Ron Wood ist auch mit über 60 regelmäßig Patient in Entzugskliniken und Drogenexperte Keith Richards ist dem Tod sicher schon mehr als einmal von der Schippe gesprungen. Was ist mit Mick Jagger? Verglichen mit seinen Bandkollegen hat sich der schlaksige Brite mit dem großen Mund bisher gut gehalten. Am 26. Juli feiert der siebenfache Vater seinen 65 Geburtstag.
erschienen am 26. 07. 2008
Jean-François Martin/Ricore Text
Mick Jagger (auf der Berlinale 2008)
Vom BWLer zum Rock'n'Roller
Michael Phillipp Jagger wird in eine konservative, bürgerliche Familie geboren. Mutter Eva engagiert sich für die konservative Partei im englischen Dartford, Vater Basil ist Lehrer. Er hat den Beruf seines Vaters gewählt und sähe nun auch den eigenen Sohn gerne vor einer Klasse stehen. Der kleine Mick interessiert sich aber für ganz andere Dinge. In "According to The Rolling Stones - Das Buch" beschreibt er das so: "Ich war schon immer ein Sänger. Als Kind habe ich ständig gesungen." Die Liebe zur Musik ist bereits so groß, dass Michael im Kirchenchor trällert. Nach dem Abitur schmiedet der Teenager zunächst seriösere Karrierepläne. An der London School of Economics schreibt er sich für Betriebswirtschaftslehre ein, hält aber nur einige Monate durch. Zu dröge ist der Stoff, Mick will sein Leben mit Musik verbringen. Da kommt ihm gelegen, dass er auf seinen Jugendfreund Keith Richards trifft. Der tickt ganz ähnlich und träumt ebenfalls von einer Karriere als Musiker. Zusammen mit Richard Taylor gründen sie die Little Boy Blue and the Blue Boys, eine Rhythm-and-Blues-Band, die zunächst nur Bluesstücke nachspielt. Als kurz darauf Ian Stewart (Klavier), Tony Chapman (Schlagzeug) und Brian Jones (Gitarre) zu dem Trio stoßen, ändert sich der Stil der Band grundlegend.
Jean-François Martin/Ricore Text
The Rolling Stones: Ron Wood, Charlie Watts, Keith Richards, Mick Jagger
Bad Boys gegen Pilzköpfe
Ab 1962 tritt die erweiterte Band als The Rolling Stones auf. Statt Blues wird nun Rock'n'Roll-Musik gespielt, mit ihren provokanten Texten und Bühnenshows wollen sich die Stones klar vom Saubermann-Image der zahmen Beatles abgrenzen. Die demonstrative Ablehnung der bürgerlichen Ordnung, unzählige Frauengeschichten und exzessiver Drogenkonsum bringen ihnen den Ruf verwegener Bad Boys ein. Frontmann Mick Jagger provoziert durch seine hautengen Bühnenoutfits, die später auch gerne mit Pailletten besetzt sind oder aus bunter Seide bestehen. Lippenstift und feminines Gehabe tun ihr Übriges, um Gerüchte um die Bisexualität des Sängers mit dem großen Mund zu schüren. Heute gibt Jagger zu, dass er damals schockieren wollte, mit dem Ausleben seiner femininen Seite habe das nichts zu tun gehabt. Die rationale Überlegung des Ex-BWLers: Zum Rockstar braucht es mehr als Talent, man muss den Leuten im Gedächtnis bleiben. Und wenn das durch lächerliche Outfits und farbige Lippen zu erreichen ist - umso besser!
Jean-François Martin/Ricore Text
Mick Jagger
Als Team erfolgreich
1965 landet die Band mit "I Can't Get No Satisfaction" einen Hit. Die Single hält sich über Wochen auf Platz eins der Top Ten und macht die Briten international bekannt. Als das erste Album der Band, "Aftermath", ebenfalls gut läuft, ist der Grundstein für eine der erfolgreichsten Rockkarrieren gelegt. Vier Jahre später machen sich die Musiker mit der Gründung einer eigenen Plattenfirma zur Produktion und Vermarktung ihrer Alben unabhängig. Mick Jagger beweist seine Fähigkeit als Geschäftsmann, strebt aber ebenfalls nach Unabhängigkeit. 1985 ist er erstmals solo auf Tour, bringt im Laufe der Jahre drei Alben ohne seine Bandkollegen heraus. Um seine Solo-Karriere voranzutreiben, weigert er sich, zu den Veröffentlichungen von "Undercover" (1983) und "Dirty Work" (1986) mit den Stones auf Tournee zu gehen. Besonders Keith Richards ärgert sich über den Ego-Trip seines Jugendfreundes. Dass Jagger bei seinen Solokonzerten auch Lieder der Stones spielt, bringt ihn vollends auf die Palme. Die Versöhnung erfolgt standesgemäß auf Barbados, wo sich Richards und Jagger 1989 die Hand reichen. Ein paar Drinks und die Tatsache, dass Jaggers Solo-Alben nicht annähernd so erfolgreich sind wie die Stones-Projekte, dürfte den Versöhnungsprozess begünstigt haben. Die Zukunft wird zeigen, dass die Stones eben nur gemeinsam wirklich rocken. Das Album "Steel Wheels" aus dem Jahr 1989 überzeugt Anhänger wie Kritiker, fünf Jahre später folgt der Grammy für "Voodoo Lounge". Die Welttourneen "Bridges to Baylon" (1997-98), "Forty Licks" (2002-2003) und "A Bigger Bang" (2005-2006) begeistern Fans weltweit - trotz horrender Eintrittspreise.
Kinowelt
Shine a light
Kinder willkommen
Wozu die Einnahmen gebraucht werden, ist ganz offensichtlich: Papa Mick hat schließlich viele Mäuler zu stopfen. Was den Nachwuchs angeht, ist dieser produktiv. Sieben Kinder hat der paarungswillige Brite mit vier Frauen gezeugt. Mit der Treue nimmt es ein Rock'n'Roller wie Jagger natürlich nicht so genau. Immer wieder machen Berichte über Affären die Runde, auch mit Männern. Was wirklich dran ist an den angeblichen Abenteuern mit David Bowie, Andy Warhol oder Helmut Berger bleibt offen. Jagger mag die Spekulationen über seine sexuellen Vorlieben, in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung sagt er 2007: "Ich kannte Helmut Berger gut, aber nein, wir hatten kein erotisches Verhältnis! Hehehe". Wie dem auch sei, die zahlreichen Frauengeschichten des Sexsymbols lassen sich viel einfacher nachweisen. Die hinterlassen schließlich deutliche Spuren, erstmals 1970, als Sängerin Marsha Hunt eine Tochter von Jagger bekommt. Ein Jahr später tritt der aber mit einer anderen Dame vor den Traualtar. Von 1971 bis 1980 hält die Ehe mit Bianca Pérez-Mora de Macías, aus der eine zweite Tochter des Musikers hervorgeht. Die Ehe mit Bianca ist aber schon lange vor der Scheidung gescheitert, denn Jagger lebt bereits 1977 mit dem Modell Jerry Hall zusammen. Die beiden bekommen zwei Kinder, bevor sie 1990 mit einer Hindu-Zeremonie auf Bali heiraten. Zwei weitere kleine Jaggers folgen, dennoch lässt der Altrocker neun Jahre später die Ehe annullieren, die in Großbritannien wohl nie rechtskräftig war. Grund dafür ist - wie könnte es anders sein - ein weiteres Modell. Die Brasilianerin Luciana Gimenez bringt Kind Nummer sieben zur Welt. Ob es dabei bleibt, wissen die Sterne. Fest steht, dass Jagger seit 2001 wieder in einer festen Beziehung lebt. Seitdem ist die englische Stylistin L'Wren Scott - wie gewohnt ein Ex-Modell - die Frau an seiner Seite.
Kinowelt
Shine a light
Werner Herzog und Martin Scorsese
Neben der Musik und den Frauen bleibt dem umtriebigen Mick gelegentlich die Zeit, sich als Schauspieler zu beweisen. Dafür bieten ihm Donald Cammell und Nicolas Roeg erstmals die Gelegenheit. Sie geben dem Rockrebellen eine Hauptrolle in ihrem 1970 erscheinenden Kriminaldrama "Performance" - wieder ist Keith Richards not amused, ist es doch ausgerechnet seine damalige Freundin Anita Pallenberg, mit der Womanizer Mick - wenn auch nur im Film - ins Bett steigt. Dem Publikum gefällt es, ebenso wie Jaggers Auftritt als gesetzloser Australier Ned Kelly in "Kelly, der Bandit". Anfang der 1980er Jahre interessiert sich Werner Herzog für den schlaksigen Briten. Er gibt ihm eine Hauptrolle im Drama "Fitzcarraldo", dessen Dreharbeiten aber für längere Zeit unterbrochen werden müssen. Schließlich überschneiden sie sich mit einer Tour der Rolling Stones, Jagger steigt aus dem Projekt aus. Vielleicht ein Segen - es ist ja hinlänglich bekannt, wie sich Klaus Kinski am Set gebärdete, wer weiß was Mick angestellt hätte... In den Folgejahren ist Jagger immer wieder als Schauspieler tätig. 1995 gründet er seine eigene Produktionsfirma Jagged Films, er will selbst die Kontrolle innehaben und eigene Projekte verwirklichen. Dennoch dauert es sechs Jahre bis 2001 das Weltkriegsdrama "Enigma - Das Geheimnis" in die Kinos kommt. Sieben Jahre später gibt Mick Jagger für Martin Scorsese und "Shine a light" die Zügel gerne aus der Hand. Für den Dokumentarfilm hat Scorsese zwei Konzerte der "A Bigger Bang Tour" im New Yorker Beacon Theatre gefilmt. Der italo-amerikanische Regisseur ist ein großer Fan der Rolling Stones, hat deren Lieder schon in mehreren seiner Filme eingesetzt. Bei einer Pressekonferenz der Internationalen Filmfestspiele von Berlin sagt der 65-jährige: "Die Stones wurden für mich zu einer Grundlage für alle meiner Filme. Der Stil der Musik hat mich über die Jahre hinweg begeistert. Für mich ist sie zeitlos." Kann es ein schöneres Kompliment für die Rock-Opas geben?
Jean-François Martin/Ricore Text
Ron Wood, Charlie Watts, Keith Richards, Martin Scorsese, Mick Jagger
Vom Königshaus geadelt
Stichwort Rock-Opa: Ist es etwa ein Zeichen beginnender Senilität, wenn ein Rockmusiker vor Prinz Charles niederkniet, um sich zum Ritter schlagen zu lassen? Genau das denken nämlich einige Fans, als sich das Szenario im Dezember 2003 ereignet. Im internen Kreis ist es wie so oft Keith Richards, dem Jaggers Gebaren besonders sauer aufstößt. "Ich fühle kalte Wut über seine blinde Dummheit", wettert der Gitarrist erneut und fügt bitter-spöttisch hinzu, dass er die Bühne ungern mit einem Träger von Krone und Hermelin teile. Schließlich sei es nicht gerade das, wofür die Stones stehen. Man kann die Kritik verstehen, denn was ist denn nun mit Anti-Establishment und Sex, Drugs & Rock'n'Roll wenn sich Mick Jagger wie Cliff Richard oder Paul McCartney vor einem Mitglied der Königsfamilie verbeugt? Vielleicht muss man eben auch einem Rockmusiker etwas Altersmilde zugestehen und es wie Bandkollege Charlie Watts sehen: "Jeder Andere würde gelyncht werden: 18 Frauen und 20 Kinder - und er wird dafür auch noch zum Ritter geschlagen - fantastisch!"
erschienen am 26. Juli 2008
Zum Thema
Der britische Musiker Mick Jagger ist Frontman der Rockband The Rolling Stones, die er 1960 mit dem Gitarristen Keith Richards gründet. Jagger wird zu einem der berühmtesten und erfolgreichsten Rocksänger der Musikgeschichte. Die Erfolgswelle der Stones hält bis heute an. In den 1980er Jahren startet Jagger zudem eine Solokarriere und engagiert sich als Produzent und Darsteller. Seit seinem Filmdebüt, der Filmdokumentation "Popcorn" (1969), engagiert er sich immer wieder auch bei der..
Weitere Starfeatures
Christopher Nolans filmisches Labyrinth
Prinzessin Dianas Leid
2024