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Fatih Akin
Hollywood nur wenn's denn sein muss
Interview: Fatih Akin mag Außenseiter
Spätestens seit seinem Coup bei den Internationalen Filmfestspielen von Berlin im Jahr 2004 ist der deutsche Regisseur Fatih Akin in aller Munde. Mit seinem Wettbewerbsbeitrag "Gegen die Wand" gewinnt erstmals nach 18 Jahren wieder eine deutsche Produktion den Goldenen Bären. In "Soul Kitchen" setzt er sich jetzt humoristisch mit dem Phänomen des Städtewandels auseinander und berichtet von Existenzängsten im Hamburger Arbeiterbezirk Wilhelmsburg. Mit uns sprach der Filmemacher über Gentrifizierung, gutes Essen und die Fehlinterpretation seines Schaffens.
erschienen am 23. 12. 2009
Pandora Film
Soul Kitchen
Ricore: Wie sind Sie auf den berühmt-berüchtigten Hamburger Arbeiterbezirk Wilhelmsburg als Drehort gekommen?

Fatih Akin: Das hat viele Gründe. Zum einen fand ich die Idee reizvoll, dass mein Held auf der einen Seite in der Stadt wohnt und zum Arbeiten die Elbe überqueren muss. Das hat damit zu tun, dass ich in letzter Zeit viel in Istanbul gedreht habe und es dort Usus ist, den Bosporus zu überqueren um zur Arbeit zu kommen. Visuell war dies schon mal ein Anreiz. Mit der S-Bahn über die Elbbrücken in den Süden der Stadt zu fahren, ist ein tolles Motiv. Denn die Hauptfigur Zinos muss Bahn fahren, weil er einen Bandscheibenvorfall hat. Als wir das Drehbuch vor zwei oder drei Jahren geschrieben haben, hat man schon gemunkelt dass der Trend eindeutig nach Wilhelmsburg geht. Die Künstler und Studenten siedelten sich dort an. Vor Ort gibt es ein Gründerzeitviertel um die Fährstraße herum, in dem junge, freakige Leute leben. Dort herrscht eine andere Atmosphäre als etwa im Schanzenviertel. Wenn man die Zugezogenen in Wilhelmsburg nach ihrer Herkunft fragt, stellt man fest, die kommen aus Kassel, Bremen oder Kiel. Ein Hamburger würde dort nicht hinziehen, weil er noch zu viele Vorurteile hat.

Ricore: Wie sieht die Veränderung im Viertel aus?

Akin: Die Zugezogenen tragen dazu bei, dass Wilhelmsburg lebenswerter wird. Ein türkisches Männercafe zieht beispielsweise aus dem Ladengeschäft aus, weil es vielleicht pleite gemacht hat, und dann übernehmen es die jungen Leute samt ihren neuen Ideen. Der Stadtteil verändert sich einfach. Vor allem gibt es dort noch Platz und Künstler brauchen genau diesen bezahlbaren Freiraum. In anderen Gegenden in Hamburg, beispielsweise in Altona, musst du mittlerweile reich sein, wenn du dir ein Atelier leisten willst.

Ricore: Was verbindet Sie mit Hauptdarsteller Adam Bousdoukos? Fatih

Akin: Wir kennen uns seit der gemeinsamen Schulzeit und Adam ist mein bester Freund. Wir sind wie Bäume, auch wir kriegen immer wieder eine neue Freundschaftsrinde. Wir haben viel gemeinsam erlebt, viel gesehen. Es ist dabei nicht unerheblich, dass er in der Vergangenheit nicht nur in der Filmbranche tätig war, sondern auch lange als Gastronom gearbeitet hat. Wir hatten deshalb einen guten Austausch. So habe ich mitgekriegt was jenseits der Branche abläuft, denn manchmal bleiben die sozialen Verbindungslinien in dem Geschäft leider auf der Strecke. Er ist letztendlich der Typ, dem ich am meisten vertraue.
Piffl Medien
Fatih Akin
Ricore: Was empfehlen Sie ihm?

Akin: Er hat die Möglichkeit nach New York zu gehen und dort einen Crashkurs zu machen. Es muss nicht die renommierte Schauspielschule von Lee Strasberg sein, sondern es geht einfach um Konzentrationsübungen. Ich kenne das noch aus unserer gemeinsamen Schulzeit. Wir waren in einer Klasse und da war es nicht anders. Manchmal hat er Probleme sich auf seinen Text zu konzentrieren. Das Warten lohnt sich allerdings, weil er von seinem Humor und seiner Intelligenz absolut alle Voraussetzungen für einen guten Schauspieler mitbringt. Er denkt in seiner Rolle immer auch an die Geschichte und nicht nur an sich selber. Das können die wenigsten Schauspieler.

Ricore: Vorbild für das "Soul Kitchen" war Adams beliebtes Lokal Sotiris im Hamburger Stadtteil Ottensen. Warum gibt es das nicht mehr?

Akin: Adam hatte nach zehn Jahren als Wirt einfach die Schnauze voll. Zudem hatte er auch Lust, als Schauspieler endlich durchzustarten. Beides lässt sich nicht vereinbaren. Am Anfang der Vorbereitungen zu "Soul Kitchen" hatte er das Lokal noch und dann kam es zu grotesken Situationen. Der Dreh kam immer näher und wir wollten mit ihm eine Szene besprechen, dann klingelt plötzlich sein Telefon. Dran war sein Fleischlieferant der fragte was mit der Ladung Koteletts passieren soll? Das ging einfach nicht.

Ricore: Wie haben Sie reagiert?

Akin: Da wurde ich wirklich sauer und habe zu ihm gesagt: "Hör auf damit. Vergiss den Laden!" Wir konnten so nicht arbeiten und ich wusste, dass es unter diesen Umständen nichts mit "Soul Kitchen" werden würde.
Universal Pictures (UPI)
Gegen die Wand
Ricore: Wie haben Sie es ihm beigebracht?

Akin: Ich habe zu ihm gesagt: "Du machst den Laden dicht!" Ich habe ihm dann tatsächlich eine Entschädigung gezahlt, um den Verdienstausfall aufzufangen und seine Angestellten für die nächsten drei Monate zu bezahlen. Man könnte also sagen, dass ich Adam frei gekauft habe, um "Soul Kitchen" zu realisieren.

Ricore: Essen spielt in vielen Ihrer Filme eine Rolle. Was steckt dahinter?

Akin: Meine Diplomarbeit an der Universität habe ich zum Teil über Essen im Film geschrieben. Eigentlich hatte ich zwei Schwerpunkte: Sex im Film und eben Essen. Mit dieser Thematik musste ich mich während der Studienzeit einfach viel beschäftigen. Ich habe viele Filme gesehen in denen gegessen wurde, "GoodFellas", "Der Pate" oder "Der Koch, der Dieb, seine Frau und ihr Liebhaber". Essen im Film ist immer eine Form von Erotik. Ein Mensch braucht zwei Dinge um zu überleben: Essen und Sex. Das sind elementare Grundlagen des Lebens. Damit wir beides auch tun, hat die Natur es mit einer besonderen Sinnlichkeit ausgestattet. Beim Film will man ebenfalls eine Sinnlichkeit erreichen, deshalb dient das Essen oft als ideales Bild von Sinnlichkeit im Film. Natürlich ist Essen zudem ein Mittel der Kommunikation. Essen bringt Leute zusammen. In der reinen Filmarbeit schafft eine Essenssituation immer auch eine zweite oder dritte Ebene, neben dem reinen Dialog.

Ricore: Die Rolle des exzentrischen Kochs in "Soul Kitchen" wird von Birol Ünel gespielt. Er gilt als schwieriger Schauspieler. Wie ist Ihre Verbindung zueinander?

Akin: Birol hat mein Leben verändert. Vor "Gegen die Wand" war ich einfach ein deutscher Filmemacher. Mir war überhaupt nicht bewusst, was für ein Potenzial der Film hat und wohin mich das katapultiert. Ich wollte immer schon mit Birol arbeiten, weil er ein sehr charismatischer Typ und ein sehr guter Schauspieler ist. Ich kenne ihn seit 1995 und habe ihn lange beobachtet. Ich wusste, dass ich eines Tages mit ihm zusammenarbeiten werde, auch wenn er manchmal einen über den Durst trinkt. Nach "Gegen die Wand" hatte ich auf einmal so viele Möglichkeiten als Regisseur, mir wurden alle Türen geöffnet und ich konnte meine Produktionsfirma Corazón International gründen. Mein Leben hat sich dadurch komplett verändert und Birol hat seinen Anteil daran. "Soul Kitchen" ist eine Art Best-Of meiner bisherigen Filme: Adam aus "Kurz und schmerzlos", Moritz aus "Im Juli" bzw. "Solino" und eben Birol aus "Gegen die Wand".
Jean-François Martin/Ricore Text
Fatih Akin
Ricore: Haben Sie sich das Filmgeschäft in jungen Jahren so vorgestellt, wie Sie es später kennen gelernt haben?

Akin: Ja, ich habe es mir so vorgestellt und bin nicht großartig überrascht worden. Allerdings habe ich mir in jungen Jahren auch gar kein genaues Bild von der Branche gemacht. Jetzt wo ich lange dabei bin merke ich, was mich nervt und was ich gut finde. Es gibt viele Parallelen zu der Schulzeit. Speziell in den letzten Jahren in der Schule hatte ich immer das Bedürfnis Außenseiter zu sein. Ich wollte mich anders anziehen und Dinge anders angehen als meine Mitschüler. Vielen Leuten war ich auf dem Gymnasium nicht ganz geheuer, auch vielen Lehrern nicht. In der Filmbranche ist das ganz ähnlich. Ich habe wenig Freunde in der Branche, genau wie ich damals in der Schule wenig Freunde hatte.

Ricore: Fühlen Sie sich in der Außenseiterrolle wohl?

Akin: Man ist automatisch schon in einer Außenseiterposition wenn man Filmemacher aus Hamburg ist. Berlin und München sind derzeit die Hauptstädte des deutschen Films, dort sitzt die Lobby. Ich bin in Hamburg, weil mein soziales Leben hier stattfindet. Meine Eltern, mein Bruder, meine Frau, mein Kind, meine Kumpels sind hier, und das ist mir wichtiger als Karriere. Wenn ich die ganz große Karriere im Auge gehabt hätte, wäre ich aber wohl sowieso nach New York gegangen.

Ricore: Hat Hollywood schon angeklopft?

Akin: Hollywood klopft. Wenn ich es nicht muss, dann mache ich aber niemals einen Studiofilm. Der einzige Grund um drüben einen solchen Film zu machen wäre, wenn ich dringend Geld bräuchte. Ich spreche hier von einem finanziellen Notfall, wenn also eine Katastrophe passieren würde und ich dringend eine Million Dollar bräuchte. Es interessiert mich nicht in Hollywood Filme zu machen die handwerklich perfekt sind. Ich bin viel zu sehr Autorenfilmer, als dass mich das glücklich machen würde. Das Interessante an einem solchen Deal sind einzig die Vertriebsmöglichkeiten, nicht mehr und nicht weniger.

Ricore: Herr Akin, wir bedanken uns für das Gespräch.
erschienen am 23. Dezember 2009
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2024