Pixar
Regisseur Brad Bird
Unterwelt trifft auf Haute Cuisine
Interview: Brad Bird speist Ratatouille
Bereits zum achten Mal erfreut Pixar Jung und Alt mit einer farbenfrohen Geschichte. Dieses Mal sind es Ratten, die im Zentrum des Geschehens stehen. Regisseur Brad Bird. sprach mit uns auch über die Gefahr, eine Ratte in den Mittelpunkt der Handlung zu setzen. Doch es hat "Ratatouille" nicht geschadet. Empfinden manche anfangs noch einen kleinen Ekel, so freundet man sich sehr schnell mit dem grauen Nager an. Ebenso erging es Bird. Er war über seine emotionale Nähe zu den Figuren allerdings nicht erfreut.
erschienen am 3. 10. 2007
Andrea Niederfriniger/Ricore Text
Brad Bird
Ricore: "Ratatouille" erhielt durchweg positive Kritiken. Kann man sich nach einem solchen Erfolg auf seinen Lorbeeren ausruhen?

Brad Bird: Nein, das kann man nicht. Ich bin sehr müde, renne aber viel in der Gegend herum und besuche nachts trotzdem Restaurants, um auf dem Laufenden zu bleiben. Zu hören, dass die Zuschauerreaktionen positiv sind, verschönert mir natürlich den Tag.

Ricore: Waren Sie über die Ratten besorgt? Ich muss sagen, nach den ersten fünf Minuten ekelte es mich ganz schön...

Bird: In der Zeit der Entwicklung des Films, machten sich einige Mitarbeiter tatsächlich Sorgen, dass das Publikum möglicherweise angewidert sein könnte. Sie haben sich der Sache angenommen und die Ratten weniger "rattenhaft" dargestellt.

Ricore: Wie kann man sich das vorstellen?

Bird: Sie stellten die Ratten auf zwei Beine, kürzten ihre Schwänze und änderten alles, was sie wie typische Ratten aussehen lässt. Eigentlich wurden die Ratten eher zu kleinen Menschen. Als ich mich dem Projekt anschloss, sah ich dies anfangs als Fehler. Nur um auf der sicheren Seite zu stehen, wurde auf diese Weise die ursprüngliche Idee des Films kurzerhand entfernt. Ratten führen bei vielen Leuten zu einem sofortigen Ekelgefühl. Ein guter Film wird genau dies zugeben und es dann überwinden. Das ist besser, als sich nicht richtig mit dem Thema zu beschäftigen und die Ratten in kleine Hosen zu stecken und ihre Schwänze zu kürzen, um sie präsentierbarer zu machen. Es gibt viele großartige Geschichten, wie beispielsweise "Der Glöckner von Notre Dame" oder "Frankenstein", in denen der Hauptcharakter abscheulich ausschaut. Doch dann wird eben dies überwunden und man erkennt die Menschlichkeit, die eigentliche Person.

Ricore: Wie haben Sie dieser Entwicklung entgegengewirkt?

Bird: Ganz einfach, ich verlängerte die Rattenschwänze wieder und setzte sie zurück auf alle vier Beine. Ein weiterer wichtiger Punkt für mich war, dass sich Remy, also die Hauptratte, ihr Vorbild selbst aussucht und ihre Verhaltensweisen dementsprechend anpassen. Sie sollte ihrem Vorbild nacheifern, ohne selbst nachgeeifert zu werden.

Ricore: Wie würden Sie Remys Charakter beschreiben?

Bird: Remy zieht es von einem Platz zum nächsten. Die Art und Weise wie sich die Ratte verhält, grenzt sie von den anderen Ratten klar ab. Zudem zeigt Remy Gefühle und die Ratte erhält dadurch eine emotionale Ebene. Am Anfang des Films schnüffelt Remy viel in der Gegend herum. Mit der Zeit fühlt er sich in der menschlichen Welt immer wohler und setzt sich beispielsweise aufrecht hin. Doch als er schließlich seine Familie wieder trifft, will er ihnen vormachen, dass er sich in dieser Rolle nicht wirklich wohl fühlt. Nach wie vor verspürt er sehr viel Respekt seinen Verwandten und vor allem seinem Vater gegenüber. Doch indem er sich erstmals auf zwei Beine stellt, und das noch vor seinem Vater, stellt er sich gegen ihn. So wird sein Verhalten eine physische Art zu zeigen, was er in Wirklichkeit denkt und fühlt.
Buena Vista
Teaser-Poster zu Ratatouille
Ricore: Gibt es Ähnlichkeiten zwischen Ratten und Menschen?

Bird: Ratten weisen ähnliche Verhaltensmuster auf wie Menschen, je verzweifelter sie werden. Wir haben uns nicht mit Straßenratten auseinander gesetzt, die sehr schmutzig sind und Krankheiten übertragen. Bei Pixar hatten wir Laborratten, die sehr sauber, gut gefütterte und zufriedene kleine Kreaturen waren. Wir haben sie aus den Käfigen gelassen, sie sind auf uns herum geklettert und waren sehr niedlich. Also ich denke, dass Ratten und Menschen sich sehr ähnlich sind. Wenn Ratten nicht über geeignete Hilfsmittel verfügen, tun sie einfach alles, um zu überleben. Wenn sie aber genug gefüttert und mit Respekt behandelt werden, sind es nette, süße Zeitgenossen.

Ricore: Ihre Liebe zu Cartoons ist bekannt. Hat Sie dies zu einem angesehenen Regisseur im Animationsbereich werden lassen?

Bird: Das ist einer von vielen Gründen. Tatsächlich gehört Chuck Jones zu einem meiner beliebtesten Regisseure in diesem Bereich. Ich durfte ihn persönlich kennen lernen, das war eine große Ehre für mich. Seine Komödien sind zwar albern, gleichzeitig aber intelligent, mimisch und gestisch wohl durchdacht. Auch Michael Maltese ist brillant. Er hat keine Angst, sich für einzelne Charaktere viel Zeit zu nehmen. Das mag ich besonders. Du nimmst eben was du magst. Das ist dem Sprichwort ähnlich, du bist, was du isst - und ich esse viel Junkfood.

Ricore: Was ist Ihr Lieblingscartoon?

Bird: Das ist sehr schwer zu sagen. Ich liebe John Hubley und seine "Mister Magoo"-Serie. Zu Beginn der Serie war Magoo ein mürrischer Charakter, ein exzentrischer, alter Mann, der in den späteren Cartoons allmählich verschwindet. Die frühen Hubley-Cartoons sind einfach toll. Auch Hubleys Werbefilme sind wunderbare Werke. Ich wurde aber auch von anderen Regisseuren beeinflusst, die keine Animationsfilme drehten wie Steven Spielberg, Stanley Kubrick, Orson Welles, Howard Hawks, Milos Forman, Francis Ford Coppola, Woody Allen, François Truffaut, so könnte ich noch stundenlang weitermachen...

Ricore: Wurde Linguini von ihren Vorbildern beeinflusst?

Bird: Ja, ich wollte, dass er sich nicht gleich wohl fühlt in der Küche. Linguini ist immer etwas unruhig und aufgeregt. Das war eine gute Herausforderung für die Zeichner. Denn jeder hat seine eigene Art, sich zu bewegen.

Ricore: Haben Sie bei "Die Simpsons - Der Film" mitgearbeitet?

Bird: Der Zeitplan bei "Ratatouille" war sehr knapp bemessen. Wenn ich Zeit fand, war ich meist als Berater tätig und hab hier und da meinen Senf dazugegeben. Ab und an habe ich bei interessanten Szenen mit Krusty oder Psycho-Bob mitgearbeitet und gezeichnet.
Pixar
Remy, die kochende Ratte
Ricore: Befürchteten Sie, den Film nicht rechtzeitig zu Ende zu kriegen?

Bird: Angst ist immer eine gute Motivation. Kennen Sie "Wallace & Gromit - Die Techno-Hose"? So ähnlich habe ich mich gefühlt. Ein enger Zeitplan kostet immer sehr viel Kraft. Als ich mich diesen Filmplänen anschloss, versprach ich John Lasseter und den anderen Verantwortlichen zwei Dinge: ich halte mich an den Zeitplan, die Zeichnungen werden pünktlich beginnen, wir werden am Veröffentlichungstag fertig sein und das Endergebnis wird sich in die Familie der Pixar-Filme einreihen. Der Film sollte nicht so werden wie "The Milkman", der Vorgänger von "Ratatouille", vor dem ich nicht viel Respekt habe. Das habe ich ihnen versprochen. Ich wusste natürlich nicht, wie gut das Ergebnis im Vergleich zu den anderen Filmen sein würde, aber ich wollte mein Bestes geben.

Ricore: Hat Ihnen Ihre Arbeit bei den "Simpsons" in irgendeiner Weise bei "Ratatouille" geholfen?

Bird: Ja, mein Training bei den "Simpsons" war wirklich sehr hilfreich. Bei den "Simpsons" ist der Zeichenstil zwar recht simpel, die Witze sind jedoch umso komplexer. Manchmal gibt es 40-minütiges Material für jede 22-minütige Folge. Dabei muss man visuell komplizierte Ideen und Witze einfach simpel übermitteln und präsentieren. Das ist immer wieder eine große Herausforderung. Wenn es problematische Folgen gab, mussten wir uns an Fox wenden. Das geschah manchmal um 16 Uhr, dann saßen wir bis zwei Uhr in der Früh im Studio, bis wir alle Probleme lösen konnten. Diese Erfahrungen haben bei der Produktion von "Ratatouille" sehr geholfen.

Ricore: Wie zufrieden waren Sie mit der Arbeit Ihres Teams?

Bird: Ich hatte zum Glück eine wirklich großartige Crew. Schon bevor ich zum Team dazukam, hatten sie, was die Ausstattung des Films und das Aussehen der Figuren betrifft, eine Menge Arbeit erledigt. Genaue Anweisungen haben sie dann in Windeseile erledigt.

Ricore: Es gab vor Ihnen einen anderen Regisseur, der "Ratatouille" verwirklichen sollte. Warum haben Sie schließlich den Job angenommen?

Bird: Ich habe den Job angenommen, weil ich großen Respekt vor den Pixar-Leuten habe. Es tat mir aber schon leid, dass ich die Arbeit eines anderen übernehmen musste. Er hatte jedoch Probleme, die Geschichte so umzusetzen, wie er sie sich vorstellte. Er konnte die aufkommenden Probleme nicht lösen. "Ratatouille" ist eine wirklich komplexe Geschichte. Allein von einzelnen Handlungssträngen könnte man weitere Filme drehen. Sich durch derart komplexe Stränge durchzufinden, ist nicht einfach.

Ricore: Was haben Sie von der ursprünglichen Geschichte übernommen?

Bird: Viele Aspekte der originalen Geschichte wurden übernommen. Manche Dinge wurden natürlich geändert. Die Originalgeschichte handelt beispielsweise von einem Koch, der nicht mehr kochen will. Das war allerdings eine große Bürde. Am Anfang gab es Millionen Richtungen, in welche die Geschichte hätte gehen können. Die Zeichner kamen oft vom Weg ab. Aber die Show musste weitergehen. Niemand wollte dieses Projekt aufgeben, alle waren fasziniert davon und haben jede Menge Energie und Herzblut hinein gesteckt. Als ich kam, musste ich zunächst viele Entscheidungen treffen. Remy hatte natürlich oberste Priorität, aber welche Freundschaften, welche Beziehungen sollten im Mittelpunkt stehen? Damit hatte man schon im Vorfeld Probleme. Ich entschied mich schließlich für Remy und Linguini. Diese Beziehung wollte ich in den Mittelpunkt setzen. Alle anderen Handlungsstränge wurden danach ausgewählt, wie sie dieser Beziehung am besten dienen konnten.
Pixar
Regisseur Brad Bird
Ricore: Sind diese Figuren eine Art Adoptivkinder für Sie? Haben Sie Beziehungen zu ihnen aufgebaut?

Bird: Es entwickelte sich in der Tat eine Art wunderbare Stiefkind-Beziehung. Ich liebe meine Figuren sehr.

Ricore: Wie sehen Sie das Ergebnis?

Bird: Ich stehe dem Film noch zu nahe, um ihn mit objektiven Augen betrachten zu können. Meist gehe ich an meine Filme von einer mechanischen Seite an. Hier war es jedoch anders. Während ich noch verschiedene technische Probleme lösen musste, habe ich mich bereits in die Geschichte verliebt. Das ist aber nicht meine bevorzugte Art zu arbeiten, das kann ich Ihnen sagen. Das hat mir große Angst gemacht.

Ricore: Was war das Schwierigste, mit dem Sie sich konfrontieren mussten?

Bird: Die Charaktere machen in ihrer Entwicklung große Sprünge. Ratten tragen das Klischee von Dreck und Unreinheit. Haute Cuisine hingegen ist etwas Reines und Vornehmes. Wir standen nun vor der Herausforderung, die Zuschauer mit auf diese besondere Reise zu nehmen, und ihnen diese Geschichte plausibel zu machen.

Ricore: Haben Sie im Laufe des Films kochen gelernt?

Bird: Meine Frau übernimmt diesen Part in unserer Familie. Aber durch den Film kam ich näher an die Kochkunst heran, das ist wahr.

Ricore: Haben sie von Chefköchen Tipps bekommen?

Bird: Ja, wir haben sehr viele Tricks gelernt. Die Crewmitglieder und ich sind sehr viel durch Paris gefahren und haben vielen Chefköchen über die Schulter geschaut. In den USA haben wir einige Leute bei Pixar, die einst als Köche gearbeitet haben und sich dann entschieden, etwas anderen zu machen. So hatten wir gleich einige Spezialisten bei uns im Haus. Thomas Keller hat in der Nähe von Pixar ein französisches Restaurant. Ihn haben wir als Ratgeber hinzugezogen. Zum Schluss war er es, der das Ratatouille kreierte, das Remy am Ende dem Kritiker vorsetzt. Sie können sehen, es ist ein sehr spezielles Ratatouille, das großartig aussieht. Brad Lewis hatte die geniale Idee, das Problem des Ratatouille auf Thomas Keller abzuladen. Er sagte zu ihm, 'wie würdest du ein Ratatouille machen, um einen Kritiker zu beeindrucken? Hast du eine Idee?' Thomas antwortete, 'komm morgen noch mal vorbei, ich habe eine Idee.' Das Endergebnis kennen Sie. Es entstand eine einzigartiges, neues Rezept. Wir waren sofort begeistert. Wir haben das Ratatouille aufgenommen und dem Film angepasst. Es ist Thomas Kellers Verdienst.

Ricore: Werden Sie in Zukunft auch wieder Realfilme drehen?

Bird: Natürlich habe ich vor, wieder Realfilme zu drehen. Aber es ist noch zu früh, um über konkrete Projekte sprechen zu können. Ich habe viele Ideen für Realfilme, aber ich liebe auch Animationen. Ich liebe das Medium Film. Ich bin keiner von diesen Leuten, die sich nur in eine Richtung spezialisieren. Ich will alles machen, Western, Musicals Historienfilme... Ich werde wahrscheinlich vorher sterben, bevor ich die Chance hatte, all das machen zu können, was ich vorhabe.
erschienen am 3. Oktober 2007
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Brad Bird ist einer der wenigen Künstler in Hollywood, die man als Autorenfilmer des Animationskinos bezeichnen kann. So zeichnet er bei "Der Gigant aus dem All", "Die Unglaublichen - The Incredibles" und "Ratatouille" für Drehbuch und Regie verantwortlich und wird von der Kritik gefeiert. Schon mit elf Jahren fasst der 1957 in Kalispell, Montana geborene Bird den Entschluss, Animationsfilme zu machen. Aufgrund eines selbstrealisierten Kurzfilms wird Disney auf ihn aufmerksam.John Lasseter..
2024