Universal Pictures International
Richard Curtis
"Nie in der Vergangenheit festhängen!"
Interview: Richard Curtis ohne Blockaden
Richard Curtis ist der Autor romantischer britischer Komödien wie "Vier Hochzeiten und ein Todesfall", "Notting Hill", den "Bridget Jones"-Filmen und "Tatsächlich ... Liebe". "Radio Rock Revolution" handelt ebenfalls von Liebe - allerdings von seiner Liebe zur Pop-Musik der 1960er Jahre. Im Interview berichtet uns der gutgelaunte Regisseur und Drehbuchautor von Dingen, die er im Leben versäumt hat und die er nach und nach auf die Leinwand bringt. Auch liefert er praktische Tipps gegen Schreibblockaden.
erschienen am 18. 04. 2009
Universal Pictures International
Radio Rock Revolution
Ricore: Was ist die Tonspur Ihres Lebens?

Richard Curtis: Schwer zu sagen. Ich höre keine klassische Musik, abgesehen von einem Stück, das auch in "Radio Rock Revolution" zu hören ist. Popmusik hat einen großen Stellenwert in meinem Leben. Ich entschied mich, diesen Film zu machen als ich mich fragte, was mir wirklich wichtig ist. Popmusik war für mich in jeder Lebenslage wichtig. Wenn ich schreibe, höre ich mir neue Songs an, die ich im Internet suche. Ich hoffe, dass ich nie in der Vergangenheit festhängen werde. Die Tonspur meines Lebens ist lang und ändert sich ständig.

Ricore: Welche aktuellen Bands mögen Sie?

Curtis: Letztes Jahr hat mir eine Band namens Glas Vegas sehr gefallen - eine großartige und seltsame schottische Band. Auch Elbow [alternative Rock-Band, d.R.] schätze ich zur Zeit sehr. Des weiteren mag ich Duffy und Amy Winehouse. Meine Tochter hat mich kürzlich auf eine 19-Jährige aus Nashville namens Taylor Swift gebracht, die ich zurzeit ständig höre. Gut finde ich auch Sigur Rós [isländische Experimental-Band, d.R.]. Ich spiele mit dem Gedanken, etwas zu schreiben, dass von der Atmosphäre wie ihre Musik ist.

Ricore: Sie wählen Themen, die viele Leute berühren. Stammen diese alle aus Ihrer persönlichen Erfahrung?

Curtis: Mein Filme handeln von Dingen, die ich mich nicht traute zu tun. "Vier Hochzeiten und ein Todesfall" basierte darauf, dass ich auf einer desaströsen Hochzeit mit einem sehr schönen Mädchen tanzte. Wie Hugh fragte sie mich, wo ich denn übernachte. Sie schlief im selben Hotel wie ich. Statt sie wieder zu sehen, ging ich mit meinen Freunden nach Hause. In "Tatsächlich … Liebe" verliebt sich Colin Firth in ein portugiesisches Mädchen. Als mir das im Urlaub passierte, hatte ich eine unglaublich nette Unterhaltung mit unserer dortigen Haushälterin. Ich hatte jedoch eine Freundin. Ich habe sie einmal in ihr Dorf gefahren. Auch habe ich wie in "Radio Rock Revolution" als kleiner Junge Piraten-Sender gehört. Damals wäre ich gerne auf so ein Schiff gegangen und hätte mit den Leuten dort gelebt. Es geht oft um eine Art anderes Leben, dass man eben nicht gelebt hat.
Universal Pictures International
Richard Curtis bei der Mathäser Trade-Show
Ricore: Die Schallplatte, die im Film Bob rettet und die dann ins Wasser geworfen wird, gibt es dazu eine Geschichte?

Curtis: Nicht wirklich. Wir hatten 50 Alben. Die LP ist von einer Gruppe namens The Incredible String Band, von der ich mir im Vorfeld nur 40 Sekunden angehört hatte. Ich habe sie eher nach dem Cover ausgesucht. Eigentlich sollte Bob eine Platte retten, die ich wirklich verehre, Bob Dylan oder so. Das passte aber nicht zu seiner Figur. Er musste eine Platte wählen, die er mögen würde, niemand sonst.

Ricore: Gab es Songs, die Sie gerne im Film haben wollten, für die Sie jedoch keine Rechte bekamen?

Curtis: Ja. Aus eher seltsamen Gründen gab es da sogar einige. Ich glaube, The Doors wollten 1,4 Millionen US-Dollar für den Song "Break on through". Für diesen Betrag wollten Sie wohl Jim Morrison wiederbeleben und wieder auf Tour gehen. Für einen anderen Song, der "(If Paradise Is) Half as Nice" heißt und von Amen Corner gesungen wurde, konnten wir einfach nicht die Rechteinhaber finden. Aber im Großen und Ganzen bekamen wir, was wir wollten.

Ricore: Sie stellten populäre Bilder dieser Zeit im Film nach, stimmt das?

Curtis: Da gibt es nur noch eins eigentlich, das Coverbild von "Electric Ladyland" [Album von "The Jimi Hendrix Experience", d.R.], wo all die nackten Frauen zu sehen sind. Es gab noch eine Reihe anderer, die allerdings am Ende herausgeschnitten wurden. Es gibt beispielsweise eine The Who-Single, die "The Kids are Alright" heißt, wo die Band unter einer riesigen Flagge schläft. In einer Szene begannen wir mit drei Junges unter einer Flagge und schwenkten von dort weiter. Eine Regel beim Film ist, dass man die schönsten Szenen am Ende herausschneiden muss.
Universal Pictures International
Richard Curtis
Ricore: Beginnen Sie beim Drehbuch-Schreiben immer mit einem bestimmten Schauspieler im Hinterkopf?

Curtis: Ich versuche, das nicht zu tun. In diesem Film hatte ich nur Bill Nighy im Kopf, von dem ich wusste, dass er mitspielen muss, für den Fall, dass er ja sagt. Ich mag, dass er sehr respektabel und zugleich sehr abgedreht ist. Ich denke, es limitiert, wenn man immer nur für spezielle Leute schreibt. Da gibt es immer mehrere Zutaten, ein DJ besteht zum Beispiel ein wenig aus einem echten DJ, den es damals gab, ein wenig aus meinem Freund Simon und ein bisschen aus einer Geschichte, die ich irgendwann hörte. Nach und nach vereinigen sich diese Teile zu einer Figur. Das Casting war besonders toll, weil es so viele tolle Rollen zu besetzen gab. Schließlich war Nick Frost auf der Liste. Bei anderen musste ich länger suchen.

Ricore: Was gab es zuerst, die Liste mit den Songs oder das Drehbuch?

Curtis: Das Skript. Etwa zehn Songs im Drehbuch waren jedoch von Anfang an vorgesehen. Die Namen der Mädchen änderten sich, damit ich die Lieder verwenden konnte, die ich wollte.

Ricore: Wenn es zu dieser Zeit keinen amerikanischen DJ gegeben hätte, hätten Sie einen für den amerikanischen Markt erfunden?

Curtis: Nein. Ich erinnere mich sehr gut an den berühmten amerikanischen DJ Emperor Rosko, der immer reimte: "this is the Plate that really matters" oder "The station across the nation". Es gab neben Amerikanern viele Australier, weil die wussten, wie man lauten, kommerziellen Rundfunk macht. Um noch einmal auf die Frage einzugehen - in "Tatsächlich … Liebe" gibt es eine Amerikanerin, die ursprünglich jedoch von einer Engländerin besetzt werden sollte. Ich sagte zu der Casting-Agentin, dass ich jemanden wie Laura Linney haben wollte. Schließlich bekam ich Linney selbst.
UPI
Radio Rock Revolution
Ricore: War es problematisch, dass sich die ganze Handlung in einem so limitierten Raum wie einem Schiff abspielte?

Curtis: Nein. Es war sogar gut für die Geschichte. Ich erinnere mich, dass ich mit einem Freund über die Geschichte sprach. Er meinte, dass sei großartig, weil die Hälfte in London in der Carnaby Street und in der Kings Road spielen könnte. Genau das wollte ich aber nicht. Der Witz der Geschichte war von Anfang an, dass es um acht Irre auf einem Boot gehen sollte. So habe ich das auch meiner Freundin anfangs angepriesen. Man sollte sich die acht anstrengendsten Radiomoderatoren des Landes zusammen auf einem Boot vorstellen. Die sollten nicht nur zusammen arbeiten, sondern auch zusammen leben. Das sah das als großartige Ausgangssituation. Eigentlich sollten sie zwei Wochen auf dem Schiff und eine an Land sein. Von der Zeit an Land zeigte ich im Endeffekt aber fast nichts. Dieser Film erinnert seltsamerweise an die TV-Serie "Black Adder", die ich geschrieben habe. Auch da ging es um Leute in zwei örtlich begrenzten Spielorten.

Ricore: Warum ist die Figur von Kenneth Branagh so unsympathisch gezeichnet?

Curtis: Das war wichtig. Ich wollte nicht, das dieser Teil ernst oder politisch korrekt ist, das der Zuschauer sich bei den Minister-Szenen immer denkt, dass sie bald vorbei sein sollen und die Handlung wieder mit den interessanten Figuren auf dem Boot weitergehen soll. Daher sollte er richtig Spaß machen.

Ricore: Wie bekommen Sie nach der Arbeit Ihren Kopf wieder frei?

Curtis: Wenn der Film fertig ist, bin ich fertig damit. Sie meinen, dass der Film persönlich ist. Ich dachte zunächst, dass er von Pop-Musik und den 1960er Jahren handelt. Jetzt denke ich, dass er wohl von dem Gefühl handelt, 25 zu sein. Die meisten verlassen die Universität und leben in einer schrecklichen Wohngemeinschaft mit zu vielen Leuten, um sich die Miete zu teilen. Man isst furchtbares Essen. Zwei Mitbewohner hasst man, die anderen mag man, mit dem/der dritten war man unglücklicherweise im Bett. Währenddessen hört man die ganze Zeit Pop-Musik. Ich lebte damals in Nord-London und hörte The Specials, Elvis Costello, The Pretenders und The Police. Es geht um den Lebensabschnitt, der nach der Schule und vor der Familiengründung kommt. Auf eine gewisse Art ist das die beste Zeit im Leben, weil man sich keine Gedanken um den Beruf macht, erstmals frei ist und sich nicht um Kinder Sorgen macht.
UPI
Radio Rock Revolution
Ricore: Ist das nicht nur Carl?

Curtis: Gut, die anderen sind etwas älter, obwohl sie eigentlich jünger sein hätten sollen. Ich wollte jedoch einen größeren Altersunterschied. Wir suchten jemanden, der wie Tom 20 oder 22 ist. Daher sollten die DJ eher um die 30 herum sein. Aber es geht um diese Atmosphäre.

Ricore: Glauben Sie, dass es heute schwerer ist, zu provozieren?

Curtis: Ja. Wir hatten große Schwierigkeiten wegen unserer Haare. Wegen langer Haare wurde man vom Unterricht ausgeschlossen. Es gab viele Regeln. Dennoch provozieren mich meine Kinder täglich.

Ricore: Wie?

Curtis: Indem sie den ganzen Tag vor dem Computer hängen anstatt draußen Fußball zu spielen.

Ricore: Wie haben Sie die Geschichte Universal verkauft? In den USA sind Piraten-Sender nicht so bekannt.

Curtis: Der Film lief gut in Amerika. Die sehen es eher wie einen Cowboy-Film, wo jemand gegen die Autorität kämpft, Rock'n'Roller, die gegen den Sheriff anstehen. Das Gute an unserer Produktionsfirma Working Title und Universal ist, dass Universal mittlerweile keine Fragen mehr stellt. "Slumdog Millionär" ist das beste Beispiel für einen Film, dem niemand zutraute, dass ihn die Amerikaner mögen. So lang ein Film kein Vermögen kostet, können wir machen, was wir wollen.

Ricore: Ist das so? Landläufig hört man immer, dass wegen der Finanzkrise nur die großen Blockbuster und die kleinen überleben, die auf Festivals laufen.

Curtis: Ich denke, aufgrund der letzten Szene, wenn das Boot sinkt, war es wohl ein Risiko, weil das war ziemlich teuer. Ich kann nur sagen, dass sie sich keine Sorgen gemacht haben.
UPI
Regisseur Richard Curtis tuckert der Spree entlang
Ricore: Warum entschieden Sie sich für so viele DJs?

Curtis: Wenn man es herunter bricht, haben sie alle unterschiedliche Aufgaben. Eigentlich war sogar ein Neunter geplant. Ich fand nur niemand, der ihn hätte spielen können. Nach unendlich vielen Vorsprechen habe ich die Rolle schließlich weggelassen. Wenn man sich den Tagesplan anschaut, stellt man fest, dass man so viele braucht. 24 Stunden à drei Stunden Programm ergibt acht DJs.

Ricore: Wie konstruieren Sie eine Geschichte mit derart vielen Figuren?

Curtis: Das wächst wie eine Lebensgeschichte. Ich wollte, dass Carl auf das Boot kommt und dass es eine Figur wie Emperor Rosko geben sollte. Dann wollte ich dass die unbeliebteste Person - den Chris O'Dowd spielt - auf dem Schiff sich mit dem Neuen verbrüdern will. Dann gibt es einen, der etwas distanziert und unfreundlich ist. Den spielte Nick Frost. Die Geschichte bekommt so ein Eigenleben.

Ricore: Fangen Sie manchmal am Schluss an? Wenn man an all die Zuhörer im Film denkt?

Curtis: Das war seltsam. Wir wollten ursprünglich etwa zwölf Szenen mit Zuhörern drehen. Noch beim Dreh begann die Cutterin, diese Szenen zu dem Song "All day and all of the night" zusammen zu montieren. Dabei brauchten wir bereits diese zwölf auf. Letztendlich drehten wir 72 dieser Szenen. Meine Freundin ging zum Strand und nahm welche auf und wo immer wir hin gingen, nahmen wir weitere auf.

Ricore: Warum wählten Sie Philip Seymour Hoffman?

Curtis: Ich halte ihn für einen der drei besten Schauspieler weltweit. Ich weiß nicht, wer die anderen beiden sind. Ich hielt ihn immer für sehr energetisch und erinnerte mich daran, dass er immer sehr komplexe Rollen spielte. Kürzlich unterhielten wir uns und ich wollte wissen, bei welcher Rolle er bisher am meisten Schwierigkeiten hatte und er antwortete, das sei in "Twister" gewesen. Dabei war das eines seiner absoluten Meisterstücke! Meine Kinder mochten ihn als schlechten Basketball-Spieler in "... Und dann kam Polly". Ich fand ihn in "Der talentierte Mr. Ripley" als Jazz-Fan toll. Ich hielt ihn daher immer für eine Spaßkanone. Auch dachte ich immer an "Ich glaub' mich tritt ein Pferd" und "M.A.S.H.". Das Casting tendierte dann in Richtung "M.A.S.H.". Mehr Komödianten hätten den Film mehr sketchhaft werden lassen und weniger rund.
UPI
Das Erfolgsteam hinter "Radio Rock Revolution"
Ricore: Was mögen Sie an Robert Altman?

Curtis: Ich halte ihn für einen großartigen Filmemacher und Werke wie "M.A.S.H." kommen mir in den Sinn, wenn ich selbst Filme mache. Ich dachte auch an "Short Cuts".

Ricore: Hatten Sie je eine Schreib-Blockade?

Curtis: Ich litt unter Schreibfehlern. Ich schrieb ganze Filme, die ich weggeworfen habe. Ich denke, dass ich nie unter Schreib-Blockade litt, weil ich Pop-Musik hatte. Nach spätesten fünf Songs war ich gut gelaunt. Auch habe ich Methoden gegen Schreibblockaden. Ich hinterlasse zum Beispiel jeden Abend ein kleines Geschenk für mich und den neuen Tag. Daher fange ich am nächsten Tag nie bei Null an. Auch hinterlasse ich mir selbst Botschaften Auch schreibe ich immer 1, 2, 3, 4, 5 auf einen Zettel. Dann denke ich nie, dass ich das alles lösen muss. Ich beginne beispielsweise bei Punkt drei, weil ich weiß, dass Punkt eins schlecht.

Ricore: Sind Sie überrascht, wenn der Film sich durch die Regie ändert?

Curtis: Ja. Die größte Überraschung war "Vier Hochzeiten und ein Todesfall", der nie als romantische Komödie gedacht war. Ich dachte eher an "Breaking The Waves". Ich wollte eher einen Film über eine Gruppe von Freunden schreiben. Doch dann wurde es ein romantischer Film.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 18. April 2009
Zum Thema
Was haben "Mr. Bean", "Black Adder", "Vier Hochzeiten und ein Todesfall", "Notting Hill", die "Bridget Jones"-Filme und "Tatsächlich ... Liebe" gemeinsam? Alle sind britische Komödien aus der Feder eines Drehbuchautoren und Regisseurs namens Richard Curtis. In allen genannten Filmen war dem erklärten Popmusik-Freund Curtis der Soundtrack besonders wichtig. Auch schätzt es Mr. Curtis, mit vertrauten Leuten zu arbeiten, was für die Besetzung wie den Stab gilt. Als Drehbuchautor und Regisseur ist..
Nachdem Regisseur Richard Curtis mit "Notting Hill" zum Fachmann romantischer Komödien wurde, dreht sich diesmal alles um den Plattenteller. In der 1960er Jahre Sex-, Drugs- und Rock 'n' Roll-Komödie funkt ein Piratensender von der Nordsee die neuesten Scheiben auf die britische Insel. Die Fans freuen sich, die Obrigkeit bringt's zur Verzweifeln. Musik im Blut haben unter anderen Philip Seymour Hoffman, Bill Nighy und Kenneth Branagh.
2024