Sony Pictures
Len Wiseman in Berlin
Futuristische Fahndung
Interview: Len Wiseman sucht die Seele
Warum verbessern wollen, was gut ist? Diese Frage muss sich auch Len Wiseman stellen, als er die Neuauflage des Science-Fiction-Klassikers "Die totale Erinnerung" inszeniert. Warum der Regisseur seine Meinung änderte und "Total Recall" mit Colin Farrell realisierte, verrät er im Interview mit Filmreporter.de. Zudem spricht Wiseman über die gesellschaftspolitische Dimension seines Films und die erneute Zusammenarbeit mit Ehefrau Kate Beckinsale.
erschienen am 22. 08. 2012
Sony Pictures
Total Recall
Ricore: Wie war Ihre Reaktion, als man Ihnen anbot, die Neuauflage des erfolgreichen Arnold Schwarzenegger-Films zu inszenieren?

Len Wiseman: Ich war zunächst skeptisch. Zu der Zeit war ich mit einem anderen Filmprojekt beschäftigt, so dass ich mich voll und ganz darauf konzentrierte. Erst als die Finanzierung dieses Films nicht zustande kam, konnte ich mich "Total Recall" widmen. Um ehrlich zu sein, versuchte ich während der Lektüre des Drehbuchs Gründe zu finden, den Film nicht zu machen, weil ich ein großer Fan des Originals bin. Dann fielen mir die vielen neuen Ansätze des Remakes auf. Vor allem die Veränderungen bezüglich des Mars. Das sage ich im positiven Sinne. Ich las Seite für Seite und wusste bald nicht mehr, wohin sich die Geschichte entwickelt. Ich war völlig orientierungslos. Ich mochte die neue und aufregende Herangehensweise. Im Grunde erzählt der Film eine Detektivgeschichte, in welcher der Protagonist nach seiner eigenen Seele fahndet.

Ricore: Welche Filme haben neben "Total Recall" einen bleibenden Eindruck bei Ihnen hinterlassen?

Wiseman: Oh, da gibt es einige Filme, die ich sehr mag. Der erste Film, der großen Eindruck auf mich machte, war "Zwei Banditen". Ich kann mich noch heute daran erinnern, wie ich ihn im Haus meiner Großmutter schaute. Schon damals wusste ich, dass ich auch Filme machen will. Später mochte ich alles, was James Cameron machte.

Ricore: Sie wussten also schon sehr früh, dass Sie Filmemacher werden wollten.

Wiseman: Ja, zum Leidwesen meiner Eltern. Ich verwandelte jedes Zimmer in ein Filmset. Meinen ersten Film machte ich mit elf Jahren. Als ich 15 war, drehte ich mit meinen Freunden in unserem Garten ein Remake von "Stirb langsam". Ich spielte die Rolle John McClanes. Als ich das während der Dreharbeiten zu "Stirb langsam 4.0" Bruce Willis erzählte, sagte er, dass man den Film unbedingt auf DVD veröffentlichen sollte. Ich sagte: 'Nein, definitiv nicht, das wäre zu peinlich'. Daraufhin rief er tatsächlich meine Mutter an und sagte ihr, dass sie unbedingt das Band mit dem Film finden solle [lacht].
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Total Recall (Digital Remastered)
Ricore: Hat Bruce Willis eine Kopie Ihres Films bekommen?

Wiseman: Natürlich nicht [lacht].

Ricore: Sie sagten eben, dass Sie vor "Total Recall" an einem Film arbeiteten, dessen Finanzierung scheiterte. Um welches Projekt handelt es sich?

Wiseman: Es war ein Film mit Tom Cruise in der Hauptrolle. Er sollte "Motor K" heißen und unter dem Dach von DreamWorks entstehen. Es war ein interessantes Projekt und Tom und ich freuten uns sehr darauf. Es stellte sich letztlich aber als zu teuer heraus, sodass wir es auf Eis legen mussten. Es handelt sich um einen Stoff, der weder auf einem Buch basiert, noch das Remake eines anderen Films ist. Solche Original-Projekte, die über 100 Millionen US-Dollar kosten, sind heutzutage sehr schwer durchzusetzen.

Ricore: Wie ist Ihre Einstellung zu Remakes generell?

Wiseman: Ich gehöre nicht zu der Gruppe von Menschen, die glauben, dass Remakes das Original zerstören. Remakes sind eine andere Herangehensweise an denselben Stoff. Ich bin mit Comics aufgewachsen, meine Lieblingshelden werden immer wieder von neuem adaptiert und interpretiert. Ich liebte die erste "Batman"-Verfilmung von Tim Burton, war regelrecht besessen davon, als ich jünger war. Ich bin aber auch froh, dass es mittlerweile eine weitere Version davon gibt. Die neue Interpretation des Stoffes schmälert nicht die ältere. Ich mag beide sehr.

Ricore: Wessen Idee war es, Ihre Frau Kate Beckinsale als Bösewicht zu besetzen?

Wiseman: Als ich das Drehbuch las, hatte ich sie von Anfang an als Lori Quaid im Sinn. Dann gab ich die Idee auf, weil sie gerade mit "Underworld Awakening" beschäftigt war. Auch in meinem Fall überlappten sich die beiden Projekte. Während ich "Total Recall" inszenierte, war ich bei "Underworld" als Produzent involviert - was ich sicher nie wieder tun werde [lacht]. Ich hielt also eine Zusammenarbeit mit Kate in "Total Recall" für nicht möglich. Deshalb durchliefen wir durch den üblichen Casting-Prozess, konnten uns aber nicht auf die richtige Besetzung einigen. Dann warf Amy Pascal, eine der Geschäftsführer von Sony Pictures Entertainment, die Frage auf, warum nicht Kate die Rolle spielen sollte. Unter dem Dach von Sony entstand auch "Underworld". Als die Produktion von "Total Recall" um zwei Wochen verschoben wurde, konnten wir schließlich ein Zeitfenster von zwei Wochen zwischen der Fertigstellung von "Underworld" und "Total Recall" nutzen. Ich war natürlich begeistert davon, dass Amy Kate ins Spiel gebracht hatte.
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Len Wiseman und Kate Beckinsale am Set von "Total Recall"
Ricore: Wie fühlt es sich an, als Regisseur mit der eigenen Frau zu arbeiten? Beeinträchtigt das die Zusammenarbeit mit den anderen Darstellern?

Wiseman: Nein, Kate gibt mir sehr viel Freiraum. Während der Arbeit bin ich immer mit dem Hauptdarsteller verheiratet. Colin war also dieses Jahr meine Ehefrau. Mit Bruce war ich verheiratet, als ich "Stirb langsam 4.0" gemacht habe. Auf dem Set verstehe ich mich blind mit Kate. Das hilft uns beiden sehr bei der Arbeit. In ihrer Gegenwart muss ich mich nicht verstellen. Ich muss und kann sie nicht im Glauben lassen, dass ich einen guten Tag habe. Das Gleiche trifft auf sie zu. Wenn sie von einer Szene nicht überzeugt ist, merke ich das sofort.

Ricore: Haben Sie mit Arnold Schwarzenegger über "Total Recall" gesprochen?

Wiseman: Ich traf ihn mal auf einer Party und habe mich sehr gut mit ihm unterhalten. Er ist ein toller Kerl. Wir sprachen darüber, wie man zwei Geschichten zur gleichen Zeit erzählt. "Total Recall" spielt in zwei Welten, einer Fantasie- und einer realen Welt. Beide Realitäten sollten so erzählt werden, dass man als Zuschauer nicht weiß, in welcher man sich gerade befindet. Es hat Spaß gemacht, mit Arnold darüber zu diskutieren. Ich bin mit seinen Filmen groß geworden und ein großer Fan von ihm. Wenn ich mir einen neuen Film von ihm anschauen wollte, tat ich das in erster Linie nicht wegen des Films selbst, nicht wegen der Themen oder wegen der literarischen Vorlage von Philip K. Dick im Falle von "Total Recall". Ich schaute sie mir vor allem wegen Arnold an.

Ricore: Konnten Sie hinsichtlich des Produktionsdesigns von "Total Recall" eigene Ideen einbringen?

Wiseman: Oh ja, ich war wie besessen davon. Meine beruflichen Ursprünge liegen im Art Department, so dass ich bei "Total Recall" sehr viele eigene Ideen beisteuern konnte. Vielleicht habe ich mich etwas zu sehr hineingesteigert. Meine Crew wurde über meine Detailversessenheit fast wahnsinnig. Ich bin bei der Arbeit zwar sehr ruhig, andererseits bin ich jedoch ein absoluter Kontroll-Freak.
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Im Film und privat vereint: Kate Beckinsale und Len Wiseman
Ricore: Die Gewalt ist im Original viel präsenter als in Ihrer Neuauflage. War es eine bewusste Entscheidung, den Gewalt-Aspekt zu reduzieren?

Wiseman: Ja, das war eine bewusste Entscheidung. Ich wollte nicht den Stil von Paul Verhoeven imitieren. Das ist sein Ding. Verhoevens Herangehensweise an Philip K. Dicks Kurzgeschichte war sehr verspielt und augenzwinkernd. Der Film war stellenweise sogar ziemlich lustig. Er war im Stil eines Cartoons inszeniert. Ich wollte eine realistische Welt zeigen.

Ricore: Inwiefern spiegelt Ihre Version die heutigen gesellschaftspolitischen Verhältnisse?

Wiseman: Ich liebe ich das Science-Fiction-Genre auch deshalb, weil es zeigt, in welche Richtung sich unsere Realität entwickeln könnte. Science-Fiction-Geschichten erzählen immer von einer politischen, gesellschaftlichen und technologischen 'Was wäre, wenn'-Wirklichkeit. Das trifft auch bei "Total Recall" zu. Könnten die Menschen auf unserem Planeten nur in zwei Zonen leben, würde sich die Gesellschaft tatsächlich in eine Arbeiter- und eine privilegierte Schicht aufspalten. Davon bin ich überzeugt. Der Film ist eine drastische Schilderung dessen, wohin sich die Welt unter bestimmten Bedingungen entwickeln würde.

Ricore: Glauben Sie, dass es auch in Wirklichkeit eine Technologie geben könnte, die den Menschen wie in "Total Recall" eine Fantasiewelt vorgaukelt?

Wiseman: Durchaus. Ich denke nicht, dass die Idee so verrückt ist, als dass sie nicht auch in der Wirklichkeit angewandt werden könnte. Zum Teil gibt es diese Technologie ja schon. Es gibt Facebook und andere virtuelle Welten, in denen Menschen ihre Alter Egos erschaffen. Facebook ist nichts anderes als eine Auswahl und ein Filter dessen, was ein Mensch in Wirklichkeit ist. Man stellt die drei besten Bilder von sich ins Netz und lässt andere glauben, dass man das tatsächlich ist.

Ricore: Sind Sie bei Facebook?

Wiseman: Nein, es gibt zwar andere Len Wisemans auf Facebook und Twitter, doch das bin nicht ich [lacht].

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 22. August 2012
Zum Thema
Zu Beginn seiner Karriere dreht Len Wiseman vorwiegend Musikvideos und Werbespots. Seit "Underworld" (2003) ist der am 4. März 1973 in Fremont, Kalifornien geborene Regisseur und Drehbuchautor vor allem für seine Action-Filme bekannt. Beim Dreh des Vampir-Films lernt er mit Hauptdarstellerin Kate Beckinsale seine spätere Ehefrau kennen. Die beiden heiraten am 9. Mai 2004 in Kalifornien. Zwei Jahre später inszeniert er die Fortsetzung "Underworld: Evolution" - erneut mit Beckinsale in der..
Total Recall (Kinofilm)
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2024