Universal Pictures International
Denzel Washington auf der US-Premiere von "Safe House" in New York
"Veränderung geht langsam voran"
Interview: Denzel Washington optimistisch
Schwierig sei er, heißt es vor dem Interview von einigen Journalistenkollegen. Obendrein ist Denzel Washington aufgrund seiner Rolle als kaltblütiger Soziopath in "Safe House" nach Berlin gekommen. Als der Künstler den Raum betritt, strahlt er über das ganze Gesicht. Washington ist bestens aufgelegt, das ist schnell klar. Im Interview mit Filmreporter.de erklärt er, was sich in Hollywood ändern muss und warum es wichtig ist, 'Nein' zu sagen. Nur beim Thema Atheismus droht die gute Laune des gläubigen Schauspielers zu schwinden...
erschienen am 23. 02. 2012
UPI Media
Safe House
Ricore: In "Safe House" spielen Sie mal wieder den Bösewicht. Gefällt es Ihnen, den Schurken zu verkörpern?

Denzel Washington: Als Schauspieler habe ich am Theater gelernt, dass man nie einen bösen Typen spielt. Man muss die Figur, die man verkörpert, lieben. Ansonsten kann man sie nicht spielen. Meiner Meinung nach ist meine Figur in "Safe House" allerdings ein Soziopath, ein Atheist, Verräter und Lügner. Er hat kein Gewissen. Ich glaube, dass diese Eigenschaften für bestimmte Aufgaben perfekt waren, die er beim CIA erfüllen muss, etwa dem kaltblütige Töten. Ich habe ein Buch namens "The sociopath next door" gelesen. 80 bis 85 Prozent aller Soziopathen sind nicht gewalttätig. Doch sie haben alle gemeinsam, dass sie manipulativ sind und gewinnen wollen. Daher versuchte ich in jeder Szene herauszufinden, wie ich gewinnen kann. Allerdings verändert er sich im Laufe des Films.

Ricore: Wie wirkt sich das auf Sie persönlich aus, wenn Sie solch einen düsteren Charakter spielen?

Washington: Ich glaube an Gott. Ich fürchte keine Menschen, ich fürchte Gott. Für mich ist es eine spirituelle Reise. Sogar ein Atheist wie diese Figur ist in der Lage, sich zu ändern.

Ricore: Bei Ihnen hört sich das Wort 'Atheist' so an, als ob es eine schlimme Sache sei.

Washington: Ich glaube an Gott. Ich habe nicht gesagt, dass es eine schlimme Sache wäre. Das haben Sie so empfunden, das ist ein Unterschied. Legen Sie mir keine Worte in den Mund [lacht].
Buena Vista
Denzel Washington in "Déjà Vu"
Ricore: Also ist mangelnder Glaube nichts Negatives für Sie?

Washington: Atheismus ist kein mangelnder Glaube. Schließlich glauben Atheisten an etwas. Sie glauben, dass es keinen Gott gibt. Das ist okay.

Ricore: Demnach geht es Ihnen nicht um die Religion?

Washington: Ich rede nicht über Religion, ich rede über Spiritualität. Für mich bedeutet Religion, dass Menschen behaupten: 'Mein Gott ist der Richtige und deiner nicht.' Oder wenn sie sagen: 'Oh, du wirst in der Hölle schmoren, wenn du keinen Apfelsaft an Dienstagen und Donnerstagen trinkst.' Oder worin auch immer der Wahnsinn liegt.

Ricore: Kommen wir von den Soziopathen zurück zur Person Denzel Washington.

Washington: Vielleicht bin ich ja ein Soziopath [lacht].

Ricore: Jedenfalls sind Sie ein Hollywood-Star.

Washington: Ich bin kein großer Hollywood-Star, ich bin Schauspieler. Ich werde nur als Star bezeichnet, doch das ist nicht, wer ich bin. Zuallererst bin ich ein menschliches Wesen und mein Beruf ist die Schauspielerei. Ich habe am Theater angefangen und im Laufe meiner Karriere damit weitergemacht. An den Broadway bin ich nicht zurückgegangen, weil wir unsere Kinder in Kalifornien großgezogen haben. Daher musste ich warten, bis sie alt genug waren. Vor sechs Jahren bin ich dann zurück an den Broadway gegangen. Was ich bin, ist ein ausgebildeter Schauspieler. Als was ich bezeichnet werde, wird von anderen bestimmt.
Buena Vista
Denzel Washington
Ricore: Stört Sie das?

Washington: Das ist okay, doch ich laufe nicht herum und sage [mit affektierter Stimme]: 'Hey, ich bin ein Filmstar.' [lacht] Julia Roberts hat es auf tolle Weise zum Ausdruck gebracht. Sie sagte: 'Ich bin ein gewöhnlicher Mensch mit einem außergewöhnlichen Job.' Das gefällt mir. Wobei ich nicht mal denke, dass es so ein außergewöhnlicher Job ist. Es ist keine Raketenwissenschaft, ich bin bloß ein Entertainer.

Ricore: Man sieht Sie selten in Komödien. Woran liegt das?

Washington: Das liegt in der Natur dieses Business. Zuerst war ich der Biographie-Man. "Malcolm X", "Hurricane" - holt den Biographie-Mann [lacht]! Dann kam "Training Day" und es hieß: 'Holt den bösen Mann!' Doch in der Tat habe ich erst kürzlich ein Drehbuch bekommen, das keine Komödie, aber albern ist und ich freue mich über diese Möglichkeit. Das nächste Mal, wenn Sie mich sehen, könnte es also heißen: 'Holt den albernen Mann [lacht]!' Man muss dafür kämpfen, um nicht in eine Schublade gesteckt zu werden. Ich verstehe das, es ist ein großes Geschäft. Die Leute investieren 100 Millionen Dollar und die wollen sie wieder reinholen.

Ricore: Haben Sie schon viele Rollen abgelehnt?

Washington: Ja, absolut. Meine Karriere basiert darauf, 'nein' zu sagen. Sidney Poitier hat mir vor vielen Jahren gesagt, dass die ersten vier oder fünf Filme, die man macht, festlegen, wie man im Business wahrgenommen wird. Ich hatte großes Glück. Meinen zweiten Film machte ich, glaube ich, mit Norman Jewison, den dritten mit Sidney Lumet und den vierten mit Richard Attenborough. Das hat mir dabei geholfen, mich zu positionieren. Es gab andere Filme, die ich abgelehnt habe, weil ich den Film oder den Charakter nicht mochte. Einen nannten sie den 'Nigger, den sie nicht töten können'. Es war schrecklich. Er sollte gehängt werden, ihm sollten Stromschläge verpasst werden und sie sagten: 'Es ist eine Komödie.' Ich habe das nicht gemacht, obwohl sie mir eine Menge bezahlt hätten. Stattdessen habe ich gewartet und sechs Monate später habe ich "Schrei nach Freiheit" gekriegt. Das erzähle ich auch jungen Schauspielern: 'Ihr müsst keine Kompromisse eingehen. Spielt stattdessen Theater und wartet.' In dieser schnelllebigen Gesellschaft und diesem Business ist es sehr bedauerlich, dass junge Leute nicht die Möglichkeit erhalten, sich zu entwickeln. Aufgrund ihres Aussehens werden sie bereits mit 20 Jahren zu Stars und haben nie wirklich gelernt, zu schauspielern. Die meisten Schauspieler, die heutzutage für die Oscars nominiert werden, sind vom Theater. Viola Davis etwa oder Meryl Streep.
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Denzel Washington in "Safe House"
Ricore: Erst kürzlich hat sich Spike Lee in Sundance kritisch über das Filmbusiness geäußert.

Washington: [ironisch] Spike? Nein, das würde er nie tun [lacht].

Ricore: Ja, das kommt ziemlich überraschend, nicht wahr?

Washington: So war er nie, das muss das erste Mal gewesen sein [lacht].

Ricore: Er sagte, dass das Studio-System nichts über schwarze Menschen wisse. Wie richtig liegt er damit?

Washington: Nun, ich kommentiere nie etwas, von dem mir jemand sagt, dass ein anderer das gesagt habe. Das müsste ich von ihm hören. Aber so viel werde ich dazu sagen: Ich bin von nichts überrascht, was Spike sagt [lacht].

Ricore: Was hat sich Ihrer Meinung nach beim Studio-System bei der Besetzung schwarzer Schauspieler geändert?

Washington: Zunächst einmal weiß ich nicht, was das Studio-System sein soll. Ich glaube nicht, dass es ein System gibt, sondern einfach eine Reihe von Leuten, die versuchen, reich zu werden. Es läuft so: Wenn 'Joe Black' für uns auf einmal 100 Millionen einspielt, sollen möglichst zehn weitere 'Joe Blacks' gefunden werden. Ich bin sicher, im nächsten Jahr wird es neun Filme mit dem Titel "The Help" geben. Oder "The Extra-Help" oder "The other Help" [lacht]. Es ist ein Geschäft. Ich denke, dass das Business vor allem Frauen gegenüber am härtesten ist, egal ob sie weiß oder schwarz sind. Werden sie 40 und bekommen Kinder, wird man sie los. Der Mann kann bereits 70 sein und kriegt trotzdem irgendwie das 25-jährige Mädel. Ich denke, auf der administrativen Seite sind definitiv Verbesserungen nötig.
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Denzel Washington und Ryan Reynolds auf der US-Premiere von "Safe House" in New York
Ricore: Inwiefern?

Washington: Es gab noch keinen schwarzen Studiochef. Gleichzeitig, auch wenn es nicht unbedingt meinem persönlichen Filmgeschmack entspricht, freue ich mich für Leute wie Tyler Perry, der sein eigenes Studio gründet. Die Aufgabe eines Studios liegt nicht darin, sich um dich zu sorgen. Zudem erzählen die Leute Geschichten, die sie kennen. Ich denke nicht, dass Sie eine Geschichte über einen Afroamerikaner in Philadelphia machen könnten. Ich könnte dagegen keine Geschichte darüber machen, wie es ist, als 16-Jähriger in Berlin aufzuwachsen. Zudem gibt es ökonomische Gründe. Für eine Geschichte über einen 16-Jährigen in Berlin würde in Hollywood keiner 100 Millionen ausgeben. Bedeutet das, dass sie Vorurteile gegen 16-jährige Jugendliche aus Berlin haben? Vorurteile gibt es auf beiden Seite, auf allen Seiten. Das liegt in der menschlichen Natur. Doch ist das der einzige Grund? Das glaube ich nicht, schließlich bin ich selbst der lebende Beweis, dass es nicht so ist.

Ricore: Glauben Sie, es wird bei den nächsten US-Präsidentschaftswahlen wieder 'Yes, we can' heißen?

Washington: Netter Slogan. In der New York Times hieß es gestern, dass die Arbeitslosenquote gesunken sei. Obama hat gesagt, dass er das Defizit um die Hälfte verringern würde. Das ist ihm nicht gelungen, weil er keinerlei Unterstützung vom Kongress erhalten hat. Dennoch hat er es etwas verringern können. Einige der Dinge, von denen seine Gegner gesagt haben, dass er sie nicht ändern könne, verändern sich nun. Veränderung geht eben langsam voran. Das muss ich Ihnen hier in Deutschland aber nicht erklären, schließlich sind die Dinge in Europa auch nicht einfach. Ich denke, dass Obama die Chance verdient, weiterzumachen. Vor einigen Jahren war der Kongress zu Kompromissen bereit. Momentan ist das nicht so. Ich weiß aber nicht, ob Rassismus der Grund ist. Manche Leute sind es nicht gewöhnt, dass ein Schwarzer das Sagen hat. Er hat es dank der jungen Leute geschafft und hoffentlich werden diese ihn erneut unterstützen.

Ricore: Welchen Film werden wir als nächstes von Ihnen sehen?

Washington: Wir haben soeben "Flight" zu Ende gedreht. Es ist Robert Zemeckis' erster Realfilm seit "Verschollen". Danach hat er Motion-Capture-Filme gemacht. Ich war also begeistert, mit ihm arbeiten zu können. Es geht um einen Airline-Piloten, der Alkoholiker ist. Er stürzt mit einem Flugzeug ab, kann aber wie durch ein Wunder so landen, dass die meisten Passagiere überleben. Er sieht sich danach gezwungen, über die Gründe des Absturzes zu lügen. Es ist eine wirklich interessante Geschichte.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 23. Februar 2012
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