News: Festivalticker
Andrea Niederfriniger/Ricore Text
Leiter des Filmfest München: Andreas Ströhl
Filmfest München wieder eine Reise wert
Herz schlägt Glamour
Aufbruchsstimmung an der Isar: Mit seinem neuen Chef Andreas Ströhl (42) gelang dem diesjährigen Münchner Filmfest die längst überfällige Erneuerung. Größter Nutznießer war das Publikum, doch auch die Presse war entzückt, endete die Verleihung des Filmförderpreises doch mit einer handfesten Affäre. Und bei der heißesten Party des Festivals war schon die Einladung schockierend.
06. Jul 2004: Vielleicht hatten die zaghaft avisierten Stars tatsächlich nur Terminprobleme, vielleicht hatten sie einfach Besseres zu tun. Christina Ricci und Giovanni Ribisi ("I Love Your Work"), Kevin Kline ("De-lovely"), Greta Scacchi ("Strange Crime"), Sir Ben Kingsley ("Das Haus aus Sand und Nebel") sowie Colin Firth und Scarlett Johansson ("Das Mädchen mit dem Perlenohrring") ließen sich beim diesjährigen Münchner Filmfest jedenfalls entschuldigen. Für etwas Flair sorgten dafür die renommierten Regisseure Sir Alan Parker (CineMerit Award), Norman Jewison ("The Statement"), Volker Schlöndorff (Wicki-Preis für seinen neuen Kinofilm "Der Neunte Tag") und die finnischen Kaurismäki-Brüder Aki und Mika, denen das Festival eine Retrospektive widmete. Und selbstverständlich pilgerte die deutsche Darstellerelite in die Isarmetropole, um sich auf Partys und Empfängen ablichten zu lassen - von Hannes Jaenicke bis Hannelore Elsner, von Christiane Paul bis August Diehl. Sie alle wurden Zeuge eines Festivals, das die Filmfeste früherer Jahre spielend in den Schatten stellte.

Nassauer durften zuhause bleiben
Der Überraschungsstar schlechthin war deshalb auch Andreas Ströhl, der neue Chef des nach der Berlinale größten Kinofestivals der Republik. Das ist schon deshalb ungewöhnlich, weil es dem 42-Jährigen sowohl an Starallüren als auch an Charisma mangelt. Der gebürtige Münchner, der vor seiner Berufung den Filmbereich der Goethe-Institute leitete, pflegt vielmehr eine effektive Mischung aus Omnipräsenz, Bescheidenheit und Offenheit. Das wiederum beflügelte den - nach 21 Jahren unter Eberhard Hauff vielleicht etwas frustrierten - Mitarbeiterstab der Münchner Filmwochen GmbH. Dass er die verkrusteten Strukturen so schnell knacken konnte, schien den Newcomer am Ende selbst zu überraschen. Jedenfalls sorgte Ströhls Führungsstil für Sympathien und Aufbruchsstimmung, und entsprechend groß war auch das Medieninteresse an dem renovierten Festival. Was auch am Team um Zoran Gojic lag, der als neuer Pressechef aktive Journalisten von dies- und jenseits des Atlantiks an die Isar lockte, während die Nassauer mit der neu eingeführten Anmeldegebühr erfolgreich auf Distanz gehalten wurden. Von den Veränderungen profitierte insbesondere das Publikum: Treffpunkte und Festivalkinos lagen nur wenige Minuten auseinander, das Programm wurde gestrafft, das allgemeine Qualitätsniveau erhöht und öffentliche Gesprächsrunden mit Regisseuren eingeführt. Das Konzept ging auf - die Kinos waren, trotz Fußball-Europameisterschaft, gut gefüllt.

In seiner deutschen Reihe präsentierte Festival-Programmer Uli Maas zwei Cannes-Beiträge: "Marseille" von Angela Schanelec und Hans Weingartners "Die fetten Jahre sind vorbei", der auf Wunsch des Delphi-Filmverleihs allerdings nur in einer Art "Pro forma"-Vorstellung zu sehen war. Tatsächlich lief der Streifen wohl nur deshalb auf dem Festival, um die mit insgesamt 80.000 Euro dotierten Nachwuchsförderpreise abzusahnen, die von der HypoVereinsbank, Bavaria Film und dem Bayerischen Rundfunk gestiftet worden waren - ein durchsichtiger Plan, der Frecherweise auch noch funktioniere. Allerdings hatte man wohl selbst bei Delphi nicht damit gerechnet, dass die Juroren bei der Preisvergabe Amok laufen würden, was dem Festival einen kleinen Skandal bescherte.

Schockierend: Kurzfilme vom Autobauer
Ein umfangreiches Partyangebot half mit, die Filmpreiskrise zu verdrängen. Die originellste und heißeste Fete veranstaltete - zum fünften Mal in Folge - der kleine Fernsehsender "13th Street" mit seinem so genannten "Shocking Shorts Award". Der zeichnet keine skandalöse Unterwäsche aus, sondern innovative Kurzfilme der Genres Action, Krimi, Thriller oder Mystery. In diesem Jahr bewarben sich knapp 140 Nachwuchsregisseure, 13 Beiträge schafften es bis ins Finale. Tim Fehlbaum (22), dessen Film "Für Julian" schlussendlich das Rennen machte, gewann einen Trainingsaufenthalt bei Universal Pictures in Los Angeles, wo er zwei Wochen lang am so genannten "Filmmasters Program" teilnehmen und das Mediadesign-Studio von BMW in Kalifornien besuchen wird. Die Münchener Autobauer setzen immer mehr auf Product Placement und produzieren seit einigen Jahren eine aufwändige Kurzfilmreihe (www.bmwfilms.com) mit Starregisseuren wie John Woo, Ang Lee oder Guy Ritchie. Eine neue Staffel soll derzeit in Planung sein. Den prominenten Partygästen war das einerlei: Bei der Feier rund um den "Shocking Shorts Award" kämpften einige Rauschmittel-affine Jungstars vielmehr mit Entzugsproblemen. Das Fest fand nämlich, unter der Aufsicht zahlreicher Beamter, im Münchner Polizeipräsidium statt. Bereits im Vorfeld hatten die als Vorladungen verkappten (und entsprechend zugestellten) Einladungen für manchen Herzstillstand gesorgt.

Auch für die Zukunft steht den Münchnern einiges bevor: Nach seinem erfolgreichen Debüt als Festivalchef kann Andreas Ströhl nun alle Hemmungen ablegen und die kommenden Filmfeste weitergehend umgestalten. Die Pläne dafür hat er längst im Kopf - sie dürften bei den anstehenden Sitzungen der Münchner Filmwochen GmbH für Zündstoff sorgen. Doch Ströhl ist es gewohnt, einsame Positionen massiv zu vertreten. Kein Zweifel: An der Isar wird es wieder richtig spannend.
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