Ricore
"Postal" soll wachrütteln
Interview: Zahmer Uwe Boll
Die Werke von Uwe Boll sind gelinde gesagt umstritten. Er genießt den Ruf, mit viel Abschreibungsgeld die schlechtesten Filme überhaupt zu drehen. Doch Boll lässt sich nicht unterkriegen. Bei der Präsentation seiner neuesten Videospielverfilmung "Postal" gibt er sich handzahm und durchaus redefreudig. Das kleine Publikum ist ihm wohl gesonnen. Ist es ein Zufall, dass innerhalb weniger Monate gleich drei seiner Werke in die Kinos kommen? Der studierte Literaturwissenschaftler gibt uns Antworten.
erschienen am 19. 10. 2007
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Das Kinoplakat zu "Postal"
Ricore: Stimmt es, dass Sie für "Postal" nun einen amerikanischen Verleih gefunden haben?

Uwe Boll: Es ist so, dass Vivendi Universal, die Universal Music Group, ihren eigenen Kinoverleih aufbaut. Seit sie sich von den Universal Studios, Universal Music und Video Group Distribution verabschiedet hatten, ist Vivendi nun eine separate Firma, die auch "Blood Rain" auf DVD veröffentlichte. Aber sie bemerkten, dass sie die wichtigen Filme nicht ohne eigenen Kinoverleih bekommen. Nun starten sie mit "Postal". Vivendi ist nicht schlecht, sie sind gut vernetzt. Am Anfang stieß ich zwar nicht auf große Unterstützung, aber zwei Leute von Vivendi fanden den Film so gut, dass sie ihn durchsetzten. Sie bereiten derzeit das Marketing und die Werbung vor.

Ricore: Mit wie viel Kopien werden Sie starten?

Boll: Mit circa 400 bis 500 Kopien. Cinemark und National Amusement wollen "Postal" auf keinen Fall. Es gibt die unterschiedlichsten Gründe, warum Europa immer wieder absagt. In den USA ist George W. Bush der Grund.

Ricore: Haben Sie neben Sony noch andere Majors angesprochen?

Boll: Eigentlich nicht, ich wurde mit Sony schnell einig. Aber man muss realistisch bleiben. Wenn man Independent-Produktionen herstellt - und man hat das Studio nicht von Anfang an dabei hat ist es sehr schwer, ein Studio-Pick-Up zu kriegen.

Ricore: Es war Ihnen also klar, dass es in Amerika schwierig werden würde? Hätten Sie Vivendi nicht gehabt, hätte es ja auch sein können, dass Sie gar keinen Verleiher finden.

Boll: Dann wäre ich zu Lionsgate gegangen, die wären wahrscheinlich noch interessiert gewesen. Aber der Film ist ohnehin nicht für ein bestimmtes Zielpublikum. Im Endeffekt ist er nur da, weil ich ihn machen wollte. Ich habe mir gedacht, den Film muss ich jetzt machen, und zwar so, wie ich es mir vorstelle. Es ist die einzige Videospielverfilmungen von mir, die in England in die Kinos kommt - wenn auch nur mit wenigen Kopien. Vorher haben die Engländer meine Filme nur auf Video verkauft. Diesen fanden sie aber gut. Ich glaube, "Postal" öffnet ein paar Türen. Türen zu anderen Käufern, die meine Filme vorher nicht wollten. "Postal" muss erstmal mit Mund-zu-Mund-Propaganda ohne große Ausgaben Fuß zu fassen.

Ricore: Der Film basiert auf einem Videospiel. Kann man trotzdem sagen, dass Sie sich die Geschichte zu "Postal" ein wenig von der Seele schrieben? Wieso haben Sie durch den Titel den Film mit dem Videospiel verbunden? Man hätte ihn auch anders nennen können.

Boll: Das hätte man, aber ich hatte die Rechte dazu. Einige Szenen habe ich von dem Videospiel übernommen. Beispielsweise hätte ich die Szene mit der Katze nicht einfach klauen können. Ich hätte eine saftige Klage bekommen. Ich habe mehrere Sachen vom Videospiel übernommen, die ich so nicht hätte machen können. Die Puppen beispielsweise. Ich hätte andere Puppe nehmen und diese anders benennen müssen. Von daher denke ich, es schadet nicht, dass es auf einem Videospiel basiert, man sollte es aber auch nicht überbetonen. Der durchschnittliche Zuschauer verbindet einen Film, der auf einem Videospiel basiert, oft mit einem Horrorfilm. Dann hätte man ein Problem, denn damit schließt man eine gewisse Zuschauerschaft aus.
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Eine Szene aus "Postal"
Ricore: Es wurden viele Videospiele verfilmt, die eine große Fangemeinde haben. "Postal" hat zwar auch eine Fangemeinde, aber nicht unbedingt das Massenpublikum. War es also auf der Marketingebene zwingend notwendig, den Film und das Spiel mit dem Titel zu verbinden?

Boll: Ich finde den Titel ohnehin nicht schlecht, zum Beispiel im Bezug auf das Wort "Postapokalypse". Eigentlich läuft jede Person des Films Amok, alle drehen durch. Eigentlich ist der Typ, der im Spiel durchdreht, im Film der einzige, der nicht durchdreht. Es wäre wahrscheinlich zu aufwendig, sich für den Film einen guten Titel auszudenken. Ich habe zwischendurch auch überlegt, was wäre, wenn man einen anderen Titel nehmen würde. Mir ist nichts eingefallen. Wie sollte man diesen Film nennen? "Taliban Attack" oder "Onkel Dave" - das ist ganz schwer.

Ricore: Wie bekommen Sie berühmte Schauspieler dazu, bei Ihren Filmen mitzumachen?

Boll: Der erste Film, für den richtig gecastet wurde, war "Alone in the Dark" mit Christian Slater. Slater befand sich zu diesem Zeitpunkt in einem Karriereloch. Nach vielen kleinen Nebenrollen erhielt er bei mir endlich wieder eine Actionhero-Hauptrolle. Ich glaube, das war der Grund, warum er den Film gut fand und zusagte. Ben Kingsley wollte schon seit frühester Kindheit einen Vampir spielen, daher war er bei "Blood Rain" mit dabei. Er sieht ja auch ein wenig wie Nosferatu aus. Und als Ben Kingsley zusagte, haben Meat Loaf, Billy Zane, Geraldine Chaplin und Michelle Rodriguez zugesagt.

Ricore: Bei "Schwerter des Königs - Dungeon Siege" ist sogar Jason Statham mit von der Partie...

Boll: Ja, das Drehbuch zu "Schwerter des Königs - Dungeon Siege" war das einzige, das auch die Agentur gut fand. Daraufhin haben sie uns Ron Perlman und Jason Statham vermittelt. Es ist jedes Mal anders gelaufen. Bei "Postal" spielen zwar auch bekannte Darsteller mit, aber das sind hautsächlich Komiker aus US-TV-Shows. Sie haben sich freiwillig gemeldet, nachdem ihre Agenturen ihnen abrieten, bei mir mitzumachen. Das war schon sehr witzig. Ich glaube, sie wollten das nicht, weil der Humor von Stand-up-Comedians an bestimmte Grenzen stößt. Die Comedians passen genau auf, dass sie alle möglichen Leute beleidigen, aber nicht so extrem, dass es mit einem Berufsverbot für sie endet. Das war auch der Grund, warum Rob Schneider absagte. Er gehört eigentlich zu den Leuten, die alles spielen, auch dreckige Sachen. Aber dieses Mal wollte er nicht.

Ricore: Wie finanzieren Sie Ihre Projekte?

Boll: Zuerst habe ich Filme gemacht, die vom Filmfonds finanziert wurden. Seit "Blood Rain II" finanzierten wir durch Vorverkäufe, Koproduktionen und so weiter.

Ricore: Ist es mit dem neuen Finanzierungsfonds schwieriger geworden, Filme zu finanzieren?

Boll: Viel schwieriger. Die Entscheidung, dass das Geld nicht mehr nach Hollywood geschickt wird, finde ich gut. Diesen Aspekt habe ich von Anfang an angeprangert. Nur hätte man festlegen müssen, dass man die Investitionen in Deutschland von der Steuer absetzen kann. Das wäre eine vernünftige Regelung gewesen, dann hätte man weiter Privatgeld für Filmproduktionen bekommen können. Aber stattdessen machen sie einen neuen Fördertopf mit 60 Millionen auf, was im Endeffekt wieder Regierungsgeld ist. So kriegt man kein Privatgeld.

Ricore: Aber Sie haben den Großteil ja auch nicht in Deutschland gedreht?

Boll: Das stimmt. Aber ich habe einen deutschen Kameramann, deutsche Komponisten, deutsche Autoren, eine deutsche Postproduktion, alle Soundmixes und die CGI sind in Deutschland gemacht. Zum anderen habe ich natürlich auch Anleger, die Geld verdienen wollen. Und wenn man in Rumänien alles für ein Zehntel kriegt, drehe ich nicht in Deutschland in einer Burg, wenn ich mir in Rumänien eine solche für 1.000 Euro leihen kann. In Kanada gibt es eine Wirtschaftsförderung. Dort bekomme ich 25 Prozent von jeder Mark, die ich ausgebe, zurück. In Deutschland würde ich das nicht bekommen. Nur wenn das Gesetz mir vorschreiben würde, dass ich in Deutschland drehen muss, hätte ich natürlich alles in Deutschland gedreht. Deshalb war ich immer für eine Änderung des Gesetzes. Diese ganzen Studiofilme, die von deutschen Fonds bezahlt worden sind, halte ich einfach für schlecht. "Rush Hour", "Mission: Impossible 2" ist alles mit deutschem Geld gemacht. Doch da hat nicht ein einziger Deutscher mitgewirkt. Einfach absurd.
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Das Kinoplakat zu "Seed"
Ricore: Was hat "Postal" gekostet?

Boll: 15 Millionen Dollar.

Ricore: War es schwierig das Geld aufzutreiben?

Boll: Nein, weil das ja wieder über denselben Fond lief.

Ricore: Muss man sich trotzdem vor den anderen Anlegern rechtfertigen?

Boll: Die haben sich zwar im Vorfeld dafür entschieden, aber die Anleger wissen natürlich nicht, was bei dem Projekt herauskommt. Sie wissen zwar, dass es eine Komödie über das Videospiel "Postal" wird, kennen aber keine Details. Das ist auch gut so, denn sonst wäre "Postal" vielleicht gar nicht gedreht worden. Man hat gewisse Freiheiten, wenn man mit Privatinvestoren arbeitet. Denn dann geht es nur um Rendite, nicht um Inhalte. Man hat nicht diese Kontrolle wie bei einem US-Studio. In Amerika wäre es vollkommen aussichtslos, für dieses Drehbuch auch nur eine Mark zu bekommen.

Ricore: Filme spielen Gewinne ein. Wie sieht es mit DVDs aus?

Boll: Die Kinoeinnahmen machen nicht einmal 20 Prozent des Umsatzes aus. "House of the Dead" war der einzige Film, der auch im Kino funktionierte. In anderen Ländern wie Italien, Russland oder Thailand, sind meine Filme immer gut gelaufen. Aber das bringt mir nicht viel ein. Dort bekomme ich nur eine Garantiezahlung und das wars. Eigentlich ist es nur eine Sache fürs Ego, wenn der Film in Italien oder Spanien zwei Wochen in den Top Ten lief. Aber die haben vielleicht 500.000 Dollar für den Film bezahlt. Man selbst bekommt nicht einmal eine Abrechnung. Die einzigen Länder, in denen ich am Kinoerfolg direkt beteiligt wäre, sind Deutschland und Amerika. Und da haben meine Filme bis auf "House of the Dead", einfach zu wenig eingespielt.

Ricore: Wie erklären Sie sich, dass die Filme in manchen Ländern gut laufen, in anderen weniger gut?

Boll: Da gibt es mehrere Aspekte. Dazu zählt die jeweilige Mentalität des Landes. Aber auch die Werbung ist ausschlaggebend. Das war auch die große Enttäuschung bei "Blood Rain". "Alone in the Dark" und "House of the Dead" hab ich zusammen mit Lionsgate gemacht, "Blood Rain" nicht. Deshalb waren sie sauer. Also haben sie den Starttermin für ihre eigene Produktion "Hostel" auf den 6. Januar geändert, an dem Tag sollte auch "Blood Rain" anlaufen. Anfangs hatten wir Buchungen in 200 Kinos. Die Kinos haben uns die Buchungen aber wieder abgesagt, weil "Blood Rain" nur eine kleine Independent-Produktion in Amerika war. Das war das Ende. Obwohl in Los Angeles Busse mit "Blood Rain"-Werbung herumfuhren, lief der Film letztendlich nur in vier Kinos in L.A., anstatt in insgesamt 40. In jenen Staaten mit wenig Werbung lief der Film hingegen in 30 Kinos. Das war eine Katastrophe und ein harter Schlag für mich, da diese Aktion von Lionsgate bewusst herbeigeführt wurde. Ich hab die DVD-Version von 20th Century Fox auch nur an 20 Länder verkauft. Auch aus Italien kam kein Angebot für die Kinoversion. Das ist ein erheblicher Schlag ins Kontor. Die Anleger verlieren so natürlich Geld.

Ricore: Warum haben Sie Lionsgate den Rücken gekehrt?

Boll: "Alone in the Dark" lief nicht gut. Das war der ausschlaggebende Punkt. Artisal hat "House of the Dead" ins Kino gebracht, dann hat Lionsgate Artisal gekauft. Die Artisal-Marketing-Leute sind entlassen worden, dabei waren sie die Guten. Lionsgate hat "Alone in the Dark" in 2.100 Kinos gebracht. Ich war zu der Zeit in Amerika und hab Fernsehen geguckt, um die Werbung zu sehen. Doch da war nichts - keine Werbung. Lionsgate hat aber gesagt, sie hätten 20 Millionen für die Werbung ausgegeben. Da stimmt doch was nicht. Das war der Punkt, nicht mehr mit Lionsgate zusammen zu arbeiten.

Ricore: Ich würde gerne noch auf Ihre zukünftigen Pläne eingehen. "Seed" ist keine Videospielverfilmung. Wollen Sie wieder weg von den Computerspiel-Verfilmungen oder läuft das parallel?

Boll: Ich glaube nicht, dass ich von den Computerspielverfilmungen weg will. Ich hab auch "Tunnel Rats" in Südafrika gedreht, einen Vietnam-Kriegsfilm. Ich glaube, "Tunnel Rats" und "Postal" sind meine besten Filme. "Seed" basiert auf einem Buch über die Hinrichtungsindustrie und die US-Todesstrafe. Er spielt in den 1970er Jahren. Dafür habe ich Footage von PETA bekommen. Die Anfangsszenen zeigen, was der Mensch dem Tier antut. Anschließend tut es der Mensch mit Hinrichtungen anderen Menschen an. Wir zeigen die Hinrichtungen in Realzeit. Der Film ist schwer zu ertragen.
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Szene aus "Seed"
Ricore: Haben Sie bereits Verleiher?

Boll: Bei "Seed" bin ich ziemlich verwundert. Der Film lief ein paar Mal auf verschiedenen Festivals und kam extrem gut an. Leute, von denen man das gar nicht erwartet, finden den Film gut. Nun wurde er auch zu anderen Festivals eingeladen, wie nach London oder Malaga. Bei vielen Festivals wundert man sich, dass sie einen derartigen Film einladen. Viele nehmen den Film aber auch gar nicht als Horrorfilm wahr, sondern halten ihn für eine erschreckende Version von "Dead Man Walking". Für mich ist eigentlich nur wichtig, dass er ungekürzt im Kino zu sehen ist. PETA will Informationsstände in den Kinos aufstellen. Sie finden es gut, dass der Film schockt. Über einen Schock kann man die Menschen zu Verhaltensänderungen bringen. Die Denkweise ist zwar ungewöhnlich, aber ich habe mir im Vorfeld Informationsmaterial angeguckt. Man sieht beispielsweise Milchlämmer, die direkt nach der Geburt 30 Tage lang angeleint werden, damit sie nicht rumlaufen. Ich glaube schon, dass es eine Chance gibt, dass man nach dem Film tatsächlich ein paar Sachen verändern kann.

Ricore: Aber das Ziel des Films ist doch, dass die Menschen ihre Sichtweise, was die Tierhaltung betrifft, ändern.

Boll: Ja, aber auch ihre Sichtweise bezüglich der Todesstrafe. Im Film sieht man, wie eine Hinrichtung abläuft. Die Szene läuft nicht nur für ein oder zwei Minuten. Man sieht, wie sie ihn abholen, anketten, wie sie ihn dreimal exekutieren. Man sieht es zwar nicht, weil er ja eine Maske trägt, aber sie warten bis sein Gesicht von innen heraus verbrennt. Dann wird einem klar, wie primitiv das alles ist. Schwarzenegger hat die Todesstrafe in Kalifornien wieder eingeführt. Das kann ich einfach nicht begreifen. Meiner Meinung nach ist die Todesstrafe ein geplanter Mord - nichts anderes, nur ein eiskalt geplanter Mord. Wenn ein Serienmörder jemanden umbringt, dann ist das ganz etwas anderes. Aber wenn ein Staat jemanden wissentlich darauf vorbereitet und dann umbringt, das ist für mich persönlich emotional schlimmer.

Ricore: Gibt es für den Film schon einen US-Start?

Boll: Ja, der 25. Januar 2008. In Deutschland startet er am 22. November 2007.

Ricore: Aber "Seed" wird in den USA nur in gekürzter Fassung gezeigt?

Boll: Nein, das ist genau umgekehrt. Bei "Seed" war es kein Problem Der wurde lediglich R-Rated und wird in voller Länge gezeigt. Der Film ist ja nur brutal, damit haben die Amerikaner kein Problem. "Postal" ist dagegen um sieben Minuten gekürzt. Bestimmte politische und sexuelle Sachen mussten raus. Für "Seed" braucht man für die DVD-Fassung eine FSK. Ohne Kürzungen kann er nicht veröffentlicht werden. Deshalb ist es mir wichtig, dass die Kinos den Film ungekürzt zeigen.

Ricore: Wie sind Sie denn mit den deutschen Zuschauerreaktionen auf "Postal" zufrieden?

Boll: Ich war auf verschiedenen Vorführungen - die Reaktionen waren sehr gemischt. Die Masse fand ihn gut, glaube ich. Aber man hat auch Sneaks, wo die Leute eigentlich "Harry Potter" erwartet hatten. Nach fünf Minuten verlassen 20, 30 Zuschauer den Saal. Bei einer Sneak in Düsseldorf hatten wir beispielsweise Leute, die aufgrund der politischen Themen gegangen sind, andere gehen wegen der Sex-Szenen. Kaum war Dave Foley nackt, sind fünf Leute aufgestanden und gegangen. Oder die Szenen, in denen Kinder in Zeitlupe erschossen werden. Als Reaktion darauf sind diverse Leute aufgestanden und gegangen. In Amerika waren die Vorführungen bisher eher irregulär, da der Film nur auf Festivals lief. Dort wurde er super aufgenommen, allerdings unterscheidet sich das Festival-Publikum vom regulären Kinopublikum. Die Leute sind im Zweifel gegen Bush. Richtig interessant wird es erst, wenn ich wieder zurück in die USA fliege. Dann geht es nach Idaho, Michigan, Wyoming und Texas. Das sind zwar keine Sneakpreviews, die Leute wissen also, dass "Postal" kommt, aber es wird einige geben, die mit dem Film hoffnungslos überfordert sind. Aber wir müssen nun mal aus den Großstädten weg, und aufs Land.

Ricore: Die Leute lieben oder hassen Sie wegen ihrer Filme. Wie gehen Sie damit um?

Boll: Damit kann man nicht umgehen, damit muss man einfach leben. Ohne die ganze Kritik um meine Person, hätte ich "Postal" und "Seed" gar nicht geschrieben. Ich glaube zumindest nicht, dass ich sie so radikal gemacht hätte, wenn ich gehätschelt und getätschelt worden wäre. Sie sind eine Reaktion darauf, frei nach dem Motto "es ist mir alles Scheißegal". Meine kanadischen Produktionspartner wollten damit zunächst gar nichts zu tun haben. Die haben das Drehbuch gelesen und gesagt, dass ich das so nicht drehen könne. Ich sagte aber, dass es genauso gemacht würde. Wir hatten also intensive Diskussionen. Erst als die Schauspieler zusagten und ich nicht mehr alleine war, waren die Produzenten mehr an den Projekten interessiert. Die Tatsache, dass Komiker die meisten Rollen in "Postal" spielen, machte alles leichter. Wenn es andere Schauspieler gewesen wären, wäre der Film total im falschen Hals gelandet. Es war ganz wichtig, sonst hätte der ganze Film nicht funktioniert.
20th Century Fox
Schwerter des Königs - Dungeon Siege
Ricore: Aus der Sicht des Zuschauers stellt sich natürlich die Frage, warum soll ich so etwas sehen wollen? Wenn ich weiß was mich erwartet, warum sollte ich mir das antun. Warum, meinem Sie, will ein Zuschauer vor den Kopf gestoßen werden?

Boll: Ich sage Ihnen, 80 Prozent der "Postal"-Zuschauer würden einen Großteil der Themen, die in dem Film angesprochen werden, einfach unterschreiben. Jeder hat eben seine Grenze, bei der er findet, es geht zu weit. Ich wollte eine heftige Reaktion erzeugen, damit die Leute sehen, wo ihre Grenzen liegen. Ich will, dass sie sauer sind. Beispielsweise hat mein jüdischer Anwalt aus Amerika meinen Film gesehen als wir ihn an der UCLA vorgestellt haben. Nicht nur die Zuschauer, auch mein Anwalt hat mir im Anschluss Fragen gestellt. Er meinte, das sei doch viel zu primitiv. Am nächsten Tag rief er mich an und sagte, er denke immer noch über den Film nach. Und das würde ihm zeigen, dass der Film eine gewisse Macht hat. Es ist kein Film, den man übersehen kann. Genauso wenig ist es ein Film, der schnell aus dem Kopf verschwindet. Er ist in gewisser Weise ein Meilenstein. Im Unterschied zu einer Komödie wird ein anderes Level erreicht.

Ricore: "Schwerter Schwerter des Königs - Dungeon Siege" scheint ihr Opus Magnum zu sein. Ich hatte in einer Meldung von 2005 gelesen, dass Sie überlegen, den Film in zwei Teile aufzuteilen. Wurde diese Idee gestrichen?

Boll: Es kostete zu viel Geld, den Film als Zweiteiler ins Kino zu bringen. Kein Mensch würde das finanzieren. Deshalb haben wir eine dreistündige DVD-Fassung und eine zweieinhalbstündige Kinofassung, die Nebenplots weglässt. Das war die einzige Möglichkeit, das Projekt zu finanzieren. Es ist ja auch kein kleiner Film.

Ricore: Was hat der Film gekostet?

Boll: 60 Millionen Euro. Ich denke, vom Wert her, kann der Film locker mit einem 100 Millionen Dollar-Film mithalten. Das sieht Fox zum Glück auch so.

Ricore: Sie haben in Ihren Produktionen immer wieder Udo Kier, Ralf Möller und Til Schweiger dabei. Haben Sie auch mal Lust, eine deutsche Produktion zu machen oder in Deutschland zu drehen?

Boll: Das kommt auf das Projekt an und wie man es finanzieren kann und was man für Möglichkeiten in Deutschland hat. Ich würde gerne in Deutschland drehen. Das hat sich für mich aber bisher nicht ergeben. Bei Genrefilmen bleibt die Frage, wie bekommt man die Filmförderung. "Blood Rain III" drehen wir derzeit in Kroatien. Dafür habe ich einen Koproduzenten, der vom Budget bezahlt wird. Würde ich "Blood Rain III" hier im "Bereich und Förderung" oder in NRW einreichen, wäre das aussichtslos. Die würden das Projekt nicht übernehmen.

Ricore: Ist "Blood Rain III" fürs Kinos geplant?

Boll: Nein. Es ist so, dass "Blood Rain II" in mehreren Ländern im Kino gezeigt wird, in Russland oder dem Mittleren Osten. In Deutschland und den USA kommt er direkt auf DVD raus und bei "Blood Rain III" wird das ähnlich sein. In den USA kommt Blood Rain II" im September auf den Markt und dann weiß ich Anfang Oktober, ob ich "Blood Rain III" überhaupt drehe. Bei DVD-Veröffentlichungen geht es relativ schnell. Wir sehen wie viele Anteile heraus gehen, dann kann man sagen, ob es sich lohnt oder nicht.

Ricore: Ganz sicher ist der Dreh von "Blood Rain III" also noch nicht?

Boll: Nein. Universal ist zwar optimistisch, aber erst wenn sie verkauft sind, hat man Sicherheit. Ich warte jetzt noch etwa drei oder vier Wochen, dann weiß ich, wo der Hammer hängt.

Ricore: Noch zwei, drei Worte zu Til Schweiger. Wie kam es zu der Zusammenarbeit?

Boll: Til Schweiger habe ich das erste Mal bei der Geburtstagsfeier von Christian Kahrmann getroffen. Das war ungefähr vor 13 Jahren. Viel später habe ich Claire Forlani in ihrem Haus in Hollywood besucht, um ihr ein paar ihrer Szenen von "Schwerter des Königs - Dungeon Siege" zu zeigen. Als ich dort ankam, war gerade eine Party im Gange. Til Schweiger war auch da. Er hat mich angesprochen und wir führten ein Gespräch. Etwa ein halbes Jahr später las ich das Drehbuch noch einmal und dachte, der Til würde gut dazu passen, mit seinem trockenen Humor und seiner Action. Ich hab Til gefragt und er sagte zu. Das Gute bei ihm ist, dass er selbst produziert und Regie führt, er kann sich also in dich hinein versetzen und macht keinen Ärger. Er weiß genau, wie ein Regisseur denkt. Zudem hat er keine Starallüren, das war sehr positiv.
Andrea Niederfriniger/Ricore Text
Uwe Boll
Ricore: Wollen Sie das Publikum mit "Postal" erziehen? Vielleicht zu mehr Freiheit oder zu mehr unversiertem Sehen? Das Ende von "Postal" klang für mich wie die Moral einer Geschichte.

Boll: So ist es, genau das wollte ich. Ich wollte, dass jeder sagt, er hat Recht, also hört auf damit. Aber sie hören nicht auf, weil wir immer weitermachen, wie mit falschen Entscheidungen, vor allem falschen politischen Entscheidungen. Ich bin enttäuscht vom Zynismus, der auf der Welt herrscht. Ich finde die Al Gore-Doku gut und wichtig. Trotzdem muss man sich fragen, wenn er acht Jahre Vizepräsident war und glaubt, die Welt gehe unter, warum er sich dann nicht irgendwann den Präsidenten gegriffen und ihm gesagt hat, er solle gefälligst das Kyoto-Protokoll unterschreiben. Alle fangen plötzlich an, Gutes zu tun, nachdem sie keine politische Macht mehr haben. Bill Gates verdient 60 Milliarden und anschließend fängt er an, Afrika zu helfen. Bill Clinton ist jetzt die ganze Zeit mit Nelson Mandela zusammen. Das haben sie aber nicht gemacht, als sie noch die Macht hatten. Jetzt hat Bush die Macht und macht nichts Gutes. Die anderen versuchen nur, irgendwelche positiven Akzente zu setzen. Dann hat der nächste die Macht und macht auch wieder nur das, was die Ölindustrie will.

Ricore: Sie haben in "Postal" also auch Ihre ganz eigene, private, politische Meinung eingebracht?

Boll: Nun, es ist falsch, was auf der Welt passiert. Bush hätte ja eigentlich ins Gefängnis gehört, für die ganze Lügnerei um den Irak-Krieg. Aufgrund seiner Macht wird dies jedoch verschwiegen. Die Sache mit China und Indien in "Postal" war mein Gag, ist aber so weit von der Realität nicht entfernt. Das Absurde ist, dass es irgendwann zum einem Kleinkrieg kommen wird. Damit meine ich nicht einen richtigen, großen, Krieg. Aber die Amerikaner werden nicht akzeptieren, dass China die Macht hat. Wenn die Amerikaner merken, dass China mehr Profit im Bruttosozialprodukt macht und amerikanische Firmen aufkauft, dann werden sich die Amerikaner heftig zur Wehr setzen. Dann ist rein gar nichts mehr ausgeschlossen. Um ein Haar hätten die Amerikaner bereits den Iran angegriffen. Und wir saßen hier, wie das Kaninchen vor der Schlange. Wenn der Iran drei weitere Pressekonferenzen gegeben und die Amerikaner beleidigt hätte, dann hätte es den ersten Luftangriff gegeben. Ich will den Iran nicht in Schutz nehmen, aber deshalb ist mein Film so Amerika-kritisch. Ich denke, in Amerika kann man wirklich etwas bewegen. Ich kann den Iran nicht ändern. Aber die Amerikaner sind weltoffen und wollen Frieden. Es ist ja nicht so, dass sie Kriegstreiber sind - sie bekommen eben keine Informationen. Sie wissen noch nicht mal, dass das Kyoto-Protokoll existiert.

Ricore: Das hört sich so an, als hätten Sie den Film für Amerika gemacht?

Boll: Nein, aber ich denke, es ist wichtig, den Film konsequent in Amerika zu zeigen. Die Leute sollen nicht unbedingt den Film sehen, aber wenigstens informiert sein. Deshalb war auch Michael Moore so wichtig für das Land. Wenn auch die Hälfte der Informationen falsch ist, aufgrund seiner Thematik hat er in Amerika unglaublich viel bewegt. Das waren Themen, mit denen sich sonst nur die Propaganda-Maschine beschäftigte. Auf einmal hat er mit "Fahrenheit 9/11" Riesenumsätze gemacht und eine ganz andere Sicht der Dinge gezeigt. Das war für Amerika unglaublich wichtig. Die haben ja nicht die gleichen Medien wie wir. Sie haben nie mitgekriegt, dass Saddam und Bin Laden gar keine Kumpels waren, oder dass Saddam gar keine Massenvernichtungswaffen hatte, das weiß in Amerika jeder Zweite nicht. Wir nehmen immer an, die Amerikaner wissen genauso viel wie wir, aber so ist das nicht. Die Mühlen mahlen dort anders. Deshalb haut "Postal" da rein wie eine Sense. Wenn sie merken, es geht richtig zur Sache, wissen sie oftmals nicht, wie sie reagieren sollen. In Amerika ist der Film also noch härter als hier.

Ricore: Noch mal zurück zu den Videospielverfilmungen. Das Budget bei diesen Produktionen ist meistens überschaubar. Wie groß ist der Anteil für die Rechte der Spiele?

Boll: Nein, es ist viel billiger als Comics oder Bücher. Noch kann man für ein paar 100.000 Dollar die Rechte von Videospielen kaufen

Ricore: Wie viel Prozent des Filmbudgets geht an den Kauf der Rechte?

Boll: Vielleicht ein halbes Prozent, vielleicht auch eins. Das kommt auch auf das Budget an. Aber bei "Postal" habe ich für die Rechte 100.000 Dollar bezahlt. "Far Cry" habe ich gekauft, bevor das Spiel überhaupt veröffentlicht wurde. Das war mein Vorteil. Jetzt würde das Spiel über eine Million kosten, aufgrund der sechs Millionen Anteile, die sie weltweit verkauft haben.

Ricore: Herr Boll, danke für das ausführliche Gespräch.
erschienen am 19. Oktober 2007
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2024